Unfug in neuem Lichte

Neue Vorwürfe: Sozialsenatorin Schnieber-Jastram habe von der Protokoll-Affäre mehr gewusst, als sie zugab. Die weist das zurück. Auch Kusch-Nachfolger Lüdemann sei nicht ahnungslos gewesen

Von Marco Carini
und Sven-Michael Veit

Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) ist möglicherweise tiefer in die Protokoll-Affäre verstrickt, als sie bislang zugab. Das argwöhnt Christiane Blömeke, Obfrau der GAL im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) Feuerbergstraße. Als Beleg dient ihr eine Äußerung der Senatorin vom 14. Oktober vorigen Jahres, die wegen der inzwischen bekannt gewordenen Details „in neuem Lichte“ erscheine. „Schnieber-Jastram gerät immer mehr in Erklärungsnot“, befindet Blömeke.

Im Hinblick auf einen internen Vermerk des PUA, der seinerzeit an die Öffentlichkeit gelangt war, hatte Schnieber-Jastram in einem Interview mit dem „Hamburg Journal“ des NDR gesagt: „Ich habe also den Eindruck, dass aus diesen Akten zu Teilen zitiert wird, ohne dass wir diese Akten vollständig vorlegen können.“ Nach Ansicht Blömekes wusste die Senatorin also, dass „diese Akten“ – nämlich die Kurzfassung des Vermerks über die rechtswidrige Einweisung von 13 Jugendlichen in das Geschlossene Heim – teilweise ihrem Staatsrat Klaus Meister vorlagen. Dessen Entlassung am Montag voriger Woche hatte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) vor allem damit begründet, dass Meister sich kurz danach aktiv auch den vollständigen vertraulichen 50-Seiten-Bericht beschafft hatte.

„Es nimmt der Senatorin keiner mehr ab, dass sie von allem nichts gewusst haben will“, kommentiert Blömeke. Bei ihrer bevorstehenden Vernehmung vor dem PUA werde Schnieber-Jastram „sich unangenehmen Fragen stellen müssen“, kündigte die GALierin an. „Die Vorwürfe sind Unfug“, entgegnete Schnieber-Jastram gestern auf Anfrage der taz. „Mir haben keine vertraulichen Berichte vom PUA vorgelegen – auch nicht in Auszügen.“ Die angesprochenen Akten „sind unsere eigenen gewesen“ und hätten wegen „geschützter Sozialdaten“ nicht veröffentlicht werden können.

Unterdessen sieht SPD-Rechtsexperte Andreas Dressel den designierten Justizsenator Carsten Lüdemann mit einer „schweren Hypothek“ belastet. Da dessen Rolle in der Protokoll-Affäre „überhaupt noch nicht aufgeklärt“ sei, bestehe die Gefahr, dass nun „der Bock zum Gärtner“ werde. Weder er noch sein GAL-Kollege Till Steffen mögen glauben, dass der bisherige Staatsrat von der rechtswidrigen Existenz der Geheimprotokolle in der Justizbehörde nichts erfuhr. Steffen: „Es ist kaum vorstellbar, dass er davon keinen Wind bekommen hat.“

In einer Senatsanfrage will die GAL deshalb wissen, ob Lüdemann Kenntnis hatte, dass sich das Ausschussprotokoll in der Justizbehörde befand und von dort an den Anwalt Kuschs und die CDU-Bundestagsfraktion weitergeleitet wurde. Würde nur eine dieser Fragen bejaht, wäre der 41-Jährige nicht weniger in die Affäre verstrickt als sein Vorgänger. Fest steht, dass Lüdemann am 2. März in Urlaub ging – zwei Wochen, nachdem die Geheimdokumente in der Behörde auftauchten und einen Tag nach deren Weiterleitung nach außen.

Dennoch stellte von Beust seinem Kandidaten am Montag eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Aus dem Bericht des Sonderermittlers Axel Gedaschko gehe hervor, dass Lüdemanns Behauptung zutreffend sei, er habe von dem Protokoll-Umschlag in der Justizbehörde nichts gewusst. Doch der Bericht ist nicht öffentlich und die bürgermeisterliche Bewertung damit nicht nachprüfbar. SPD und GAL fordern seit Tagen die Offenlegung. „Dass dieses Papier noch immer geheim gehalten wird, legt nahe, dass dort noch viel Interessantes drinsteht“, mutmaßt Steffen.

Lüdemann soll heute Nachmittag zu Beginn der Plenarsitzung von der Bürgerschaft zum Senator gewählt werden. Anschließend wird es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen CDU und rot-grüner Opposition kommen: Auf der Tagesordnung steht eine knapp zweistündige „Aussprache über die aktuelle politische Lage“.

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