Bürger sind immer im Bild

Der Datenschutzbeauftragte kritisiert in seinem Jahresbericht die Überwachung der Bürger im privaten Bereich. Erstmals beschweren sich mehr Menschen über Unternehmen als über Behörden

VON FELIX LEE

Selbst die Mächtigen sind vor der Linsenplage nicht gefeit. Dass eine Überwachungskamera des Pergamonmuseums jahrelang das Wohnzimmer von Kanzlerin Angela Merkel gegenüber filmen konnte, beweist nach Ansicht des Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix, welche unkontrollierten Ausmaße die Videoüberwachung inzwischen habe.

Gestern hat Dix den Jahresbericht 2005 vorgestellt. Und seine Bilanz ist ernüchternd. Insgesamt gingen im vergangenen Jahr 1.137 datenschutzrechtliche Beschwerden von Bürgern ein. „Die Zahl steigt stetig“, sagte Dix. Vor drei Jahren seien es noch 924 Proteste gewesen. Große Sorgen bereitet ihm die „massive Zunahme“ der unerlaubten Bewachung im privaten Bereich. Mit 350 Eingaben hätten sich erstmals mehr Berliner über private Unternehmen beklagt als über Behörden. Dort gab es 321 Beschwerden.

Als Beispiel nannte der oberste Datenhüter die Praxis eines der größten Kabelnetzbetreibers. Dieser hat in zahlreichen Wohnanlagen besonders im Ostteil der Stadt das so genannte „Telecop-System“ installiert. Dabei überwachen Videokameras den Eingang zu Mehrparteienhäusern permanent. Die Bilder würden live in das jeweilige Hauskabelnetz eingespeist. Dix sprach von einer „kostenlosen Live-Fernsehshow“, bei der sich die Hausbewohner Bilder von Menschen anschauen könnten, ohne dass die Gefilmten gefragt wurden. „Das verstößt eindeutig gegen das Bundesdatenschutzgesetz“, sagte Dix. Datenschutzrechtlich akzeptabel sei nur eine Videoüberwachung von Hauseingängen, bei der wie bei einer Gegensprechanlage ein Videosignal ausschließlich in die Wohnung ermittelt wird, bei der geklingelt worden ist. Zwei Kläger hätten sich gegen diese rechtswidrige Praxis bereits erfolgreich zur Wehr gesetzt.

Kritik übten der Datenschützer auch an der Überwachung von Kinobesuchern mit Nachtsichtgeräten. Immer mehr Kinos gingen dazu über, besonders bei Previews oder Premieren das Publikum mit Nachtsichtgeräten und Videokameras zu überwachen. Die Betreiber befürchten, dass einige Gäste die Filme aufzeichnen und sie anschließend illegal ins Internet stellen. „Die Zeiten, in denen sich ein Liebespaar im Kino ungestört fühlen konnte, scheinen damit vorbei zu sein“, heißt es in dem Bericht. Dix forderte, dass die Überwachung von Kinobesuchern nur dann angewandt wird, wenn es konkrete Anhaltspunkte gibt. Zudem müsse auf den Einsatz unmissverständlich hingewiesen werden.

Besonders intensiv haben sich die Datenschützer im Berichtsjahr mit dem Abschluss von Mietverträgen beschäftigt. Die Neugier von Vermietern auf die private Lebenssituation potenzieller Mieter sei erheblich gewachsen. Dabei würden häufig private Daten erfragt, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Zweck des angestrebten Mietvertrages zu bringen sind. Dix wies darauf hin, dass zu unzulässigen Fragen wie zur Volksgruppenzugehörigkeit, zum Arbeitgeber und zur Religion nicht wahrheitsgemäß geantwortet werden müsse.