Glückliche Türken

Die Körber-Stiftung präsentiert eine Studie über „Stimmungsbilder“ in der Türkei und Deutschland. Gleichzeitig stellt sie jedoch überraschenderweise ihre bewährte Reihe deutsch-türkischer Dialoge ein

Eine Mehrheit der Deutschen blickt ängstlich in die Zukunft. Sie fürchtet Arbeitslosigkeit, Inflation und soziale Konflikte

Von DANIEL BAX

Der Petersberg bei Bonn ist eine prominente Adresse, wenn es um internationale Dialoge geht. In dem schlossähnlichen „Gästehaus“, in dem Adenauer das Abkommen mit den Alliierten unterzeichnete und allerhand Staatsgäste einquartiert wurden, als Bonn noch Hauptstadt war, lässt sich vorzüglich über ganz große Fragen parlieren. Hier, vor der herrlichen Kulisse der Rheinebene, stellte das Allensbacher Institut für Demoskopie vorige Woche eine Studie zu „Stimmungsbildern“ in der Türkei und Deutschland vor, die sie im Auftrag der Körber-Stiftung in beiden Ländern durchgeführt hat. Und am anschließenden Gesprächskreis mit prominenten Gästen wie Rita Süssmuth oder dem türkische Publizisten Zülfü Livaneli, der die Ergebnisse diskutierte, zeigten auch Zeitungen wie die Hürriyet und Die Welt Interesse, die sonst jedem „Dialog der Kulturen“-Ritual eher skeptisch gegenüberstehen.

Dabei vermochten einige Ergebnisse der Studie kaum zu überraschen: dass viele Deutsche ein klares Bild von der Türkei haben, das auf touristischen Erfahrungen und einer schlechten Meinung über Politik und Gesellschaft des Landes fußt, kann ebenso wenig verwundern wie die Tatsache, dass die meisten Türken nur ein schwaches Bild von Deutschland haben – es spiegelt die Medienberichterstattung beider Länder.

Spannender war da schon das Selbstbild, das aus der Umfrage spricht. So zeigen sich die Deutschen ausgesprochen ängstlich und verzagt, wenn es um ihre Zukunft geht. Nur eine Minderheit von 16 Prozent sieht die Veränderungen der letzten Jahre positiv. Drei Viertel aller Befragten machen sich Sorgen, dass die sozialen Unterschiede zunehmen. 70 Prozent haben Angst vor Inflation, fast die Hälfte fürchten Arbeitslosigkeit (51 %) oder gar soziale Unruhen (46 %).

In der Türkei dagegen, die in den letzten Jahren weit größere Turbulenzen durchlebt hat, herrscht zwar auch Pessimismus, wenn es um die Zukunft geht: Dort fürchtet man Korruption (63 %), Terror (55 %) und Wirtschaftskrise (44 %). Doch eine Mehrheit von 58 Prozent blickt positiv auf die Veränderungen der letzten Jahre zurück. Dass die Türkei in den nächsten zehn Jahren in die EU aufgenommen wird, erwarten aber lediglich 18 Prozent.

Die Unterschiede in der Grundstimmung beider Länder führen die Meinungsforscher auch auf Unterschiede zwischen einer alternden Gesellschaft wie der deutschen sowie einer jungen und dynamischen wie in der Türkei zurück. In der anschließenden Debatte warfen vor allem die türkischen Teilnehmer deshalb die Frage auf, ob sich die beiden Länder überhaupt vergleichen lassen, die in Altersstruktur und sozialer Schichtung so weit auseinander liegen. Gravierende Differenzen innerhalb der Gesellschaften kamen nur am Rande zum Vorschein: So hält zwar eine klare Mehrheit der Deutschen (65 %) die Demokratie für die beste Herrschaftsform, unter den Ostdeutschen denken aber nur 39 Prozent so. Bei den Türken sind es 56 Prozent, wobei die Jugend deutlich demokratieskeptischer (50 %) ist. In der Türkei glauben allerdings nur wenige (26 %), dass sie in einer gefestigten Demokratie leben.

Überhaupt, das Staatsverständnis: Zwar wünscht sich eine Mehrheit der Türken (70 %) einen starken Staat und bevorzugt eine Präsidialdemokratie (45 %), die dem Politiker an der Spitze besondere Machtfülle einräumt: Das entspricht der türkischen Politiktradition. Doch wenn es um konkrete Erwartungen an den Staat geht, ist das Anspruchsdenken in Deutschland viel stärker ausgeprägt: Der Staat soll nicht nur für polizeiliche Aufgaben, Justiz und Bildung zuständig sein, sondern auch für Kinderbetreuung, Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und gesunde Lebensmittel sorgen, meinen rund drei Viertel aller Deutschen. Die Türken erwarten deutlich weniger vom Staat, sehen ihn aber freundlicher.

Einigkeit herrscht in beiden Ländern lediglich über den Zustand des deutsch-türkischen Verhältnisses: Es ist auf einem Tiefpunkt, meinen Deutsche wie Türken. Umso überraschender, dass die Körber-Stiftung da beschlossen hat, ihre bewährte Reihe deutsch-türkischer Dialoge zu beenden. Die traditionellen Treffen auf dem Petersberg, die damit ihren Abschluss finden, brachten elf Jahre lang die Elite deutscher und türkischer Akademiker, Politiker und Publizisten zusammen. Dabei wären sie jetzt womöglich wichtiger denn je: In einer Zeit, in der mit dem Start der EU-Beitrittsverhandlungen die Aufmerksamkeit für die Türkei deutlich zugenommen hat und zugleich immer mehr Deutsche nach Jahren des Nebeneinanderherlebens plötzlich überrascht feststellen, wie wenig sie eigentlich von ihren türkischen Nachbarn wissen.