Türöffner für eine neue Schule

Nach der Kapitulation der Neuköllner Rütli-Schule steht die Existenz der Hauptschulen zur Debatte. Gewerkschaft spricht von „bildungspolitischer Sackgasse“, Schulsenator Böger (SPD) bleibt unbeirrt

VON ALKE WIERTH

Nach dem Offenbarungseid des Kollegiums der Neuköllner Rütli-Schule steht in Berlin die Hauptschule zur Debatte. Diese Schulform sei „für eine Stadt wie Berlin eine bildungspolitische Sackgasse“, erklärte Berlins GEW-Vorsitzende Rose-Marie Seggelke.

In Berlin gibt es 55 Hauptschulen, die von knapp 14.000 Schülerinnen besucht werden. Das sind 11 Prozent aller Oberschüler. Ungefähr 40 Prozent davon sind nichtdeutscher Herkunftssprache, in manchen Bezirken, darunter Neukölln, weit mehr. Von ihnen verlässt mehr als ein Drittel die Hauptschule ohne Abschluss.

In einem Brief an die Schulrätin hatten die Lehrerinnen und Lehrer der Neuköllner Rütli-Schule die Zustände dort als von Gewalt und Ablehnung geprägt beschrieben. Bitten um Unterstützung bei der Lösung der Probleme seien bislang ungehört geblieben, ebenso die Umsetzungswünsche vieler Lehrerinnen. Die Leiterin der Hauptschule ist seit Jahresanfang krank, Ersatz konnte bislang nicht gefunden werden. Mehr als 83 Prozent der Schülerinnen und Schüler der Rütli-Oberschule sind nicht deutscher Herkunft.

„Wir müssen feststellen, dass die Hauptschule am Ende der Sackgasse angekommen ist und es keine Wendemöglichkeit gibt“, schreiben die Rütli-Schul-Lehrer in ihrem Brief. Sie fordern, die Hauptschule „in dieser Zusammensetzung aufzulösen zugunsten einer neuen Schulform“.

Der Vorsitzende des Interessenverbandes Berliner Schulleiter, Heinz Winkler, würde ebenfalls gerne die Hauptschule verändern: Eine Umgestaltung zur Ganztagsschule mit viel Sportangeboten und einer gezielten Hinführung zum Beruf schwebt ihm vor. Winkler ist selber Leiter einer Hauptschule in Steglitz-Zehlendorf. Auch an seiner Schule gab es Gewaltprobleme, aber „seit einem halben Jahr hatten wir keine Vorfälle mehr, wegen denen wir die Polizei rufen mussten“. Er schätzt, dass ein Drittel der Berliner Hauptschulen vor ähnlichen Problemen wie die Rütli-Schule stehen. Auch der SPD-Parteichef Michael Müller hält die Umgestaltung der Haupt- zu Ganztagsschulen für einen „Weg zur Vermeidung derartiger Probleme“.

Bildungssenator Klaus Böger (SPD) hält dennoch an den Hauptschulen fest: Das Modell sei eine Chance, sagte er gestern auf einer Pressekonferenz zur Rütli-Schule. Die will er aber dennoch mit einer benachbarten Realschule fusionieren lassen.

Auch der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Özcan Mutlu, hält die Auflösung der Hauptschulen nicht für die Lösung: „Dann haben wir die Probleme an den Gesamt- und Realschulen.“ Er fordert, Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern aus Zuwandererfamilien müssten stärker mit den Verbänden, aber auch mit Vorbildern aus den jeweiligen Communitys zusammenarbeiten. Zudem sollten Konfliktberatungsteams und die Vertrauensbeamten der Polizei mehr mit Schulen kooperieren, so Mutlu. Die CDU sprach von einem „kompletten Versagen“ des rot-roten Senats und forderte eine „Task Force Schule“ sowie Polizeikontrollen an gefährdeten Schulen.

der tag SEITE 2