Plutoniumschleuder zu verkaufen

Britische Regierung privatisiert Atomanlage Sellafield und elf Reaktoren. Kaufinteressenten versprechen sich Riesengeschäft. Neue AKW geplant

DUBLIN taz ■ Die wegen der Verseuchung der Irischen See berüchtigte Plutoniumschleuder Sellafield kommt unter den Hammer. Die Regierung in London gab in der vergangenen Woche bekannt, dass die Betreiberfirma British Nuclear Group (BNG), ein Subunternehmen der staatlichen British Nuclear Fuels (BNFL), nächstes Jahr privatisiert werden soll. Neben den beiden Wiederaufbereitungsanlagen in Sellafield im Nordwesten Englands ist die BNG auch zuständig für Betrieb und Abwicklung von elf Magnox-Reaktoren, von denen die meisten ihr Haltbarkeitsdatum bereits erreicht haben.

Der Verkauf des Unternehmens soll eine Milliarde Pfund einbringen. Die US-Unternehmen Halliburton und Bechtel haben Interesse angemeldet. Sie versprechen sich ein über viele Jahre laufendes Riesengeschäft. Die Beseitigung der Altlasten ist nämlich ebenso langwierig wie lukrativ. Die Ausgaben dafür werden auf 70 Milliarden Pfund (100 Milliarden Euro) geschätzt – 14 Milliarden mehr als bisher angenommen, wie die staatliche Atomabwicklungsbehörde NDA vorgestern einräumte. Ihren ersten, mit einer Milliarde Pfund noch relativ kleinen Auftrag vergibt die NDA schon in diesem Monat. Es geht um die Entsorgung niedrigstrahlenden Atommülls aus dem AKW Drigg.

Großbritanniens Atomindustrie ist ein kompliziertes Geflecht, weil nach jedem Unfall und jedem drohenden Bankrott neue Instanzen geschaffen wurden. Die staatliche NDA ist erst vor einem Jahr gegründet worden, um die ebenfalls staatseigene BNFL mit 40 Milliarden Pfund vor dem Bankrott zu bewahren. Dieser hatte mit einem der immer wieder auftretenden Unfälle in Sellafield zu tun. In der dortigen Thermaloxid-Wiederaufbereitungsanlage (Thorp) waren in einem Zeitraum von neun Monaten rund 83.000 Liter eines hochaktiven Uran-Plutonium-Gemischs ausgetreten, ohne dass es jemand bemerkt hätte. Das Material, das aus deutschen Atomkraftwerken stammte, hätte für 20 Atombomben ausgereicht. Es war die schwerste Panne in einem britischen Atomkraftwerk seit 13 Jahren. Thorp wurde geschlossen – für immer, wie es damals hieß.

Doch nun redet man davon, die Anlage wieder in Betrieb zu nehmen, um den potenziellen Käufern Sellafield schmackhaft zu machen. Thorp kann bis zu 5.000 Tonnen verbrauchte Brennstäbe wieder aufarbeiten, das ist ein Drittel der Weltproduktion. Allerdings war es bei Thorp auch vor dem Unfall im vorigen Jahr immer wieder zu Pannen gekommen, der ersten bereits beim Probelauf 1993. In einem von BNFL in Auftrag gegebenen geheimen Bericht im Oktober 2005 hieß es: „Da die Produktionsziele stets Vorrang haben, ist es schwierig, die Anlage ordnungsgemäß zu betreiben.“ Ist die Anlage privatisiert, werden die Produktionsziele erst recht Vorrang haben.

Atomkraftwerke liefern 20 Prozent des britischen Stroms. Bis spätestens 2023 werden allerdings alle bis auf eines das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. Premierminister Tony Blair setzt nun auf eine neue Generation von Atomkraftwerken. Damit will er das Land von den Krisenherden im Nahen Osten unabhängiger machen und den CO2-Ausstoß bis 2050 um 60 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Im Sommer will die Regierung ihre Entscheidung bekannt geben, aber diese scheint bereits festzustehen. Zwar rät Blairs eigene Beratungskommission in Sachen Energie in einem vor zwei Wochen durchgesickerten Bericht vom Bau neuer AKW ab. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Blair sich über die Meinung seiner Experten hinwegsetzt.

Voraussetzung für das neue Atomzeitalter ist jedoch die Lösung des Altlastenproblems. Deshalb setzt nun ein Wettlauf um die Aufträge ein, denn wer den Zuschlag erhält, dürfte auch bei der Entsorgung künftigen Atommülls vorne liegen und auf unabsehbare Zeit ausgesorgt haben. Hinzu der Müll aus Großbritanniens militärischem Atomprogramm, dessen Umfang bisher nicht preisgegeben wurde.

RALF SOTSCHECK