Koschere Fliegen

„Auf jüdischem Parkett“ zeigt die selbstverständliche Vielseitigkeit des jüdischen Gemeindelebens ohne pathetische Misstöne (00.05 Uhr, ZDF)

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Efraim Habermann ist ein alter Galan. Jedes Mal beginnt er mit der Kamera zu flirten, wenn das Filmteam im jüdischen Gemeindehaus in Berlin auftaucht – und er scheint immer da zu sein. Irgendwann erzählt er dann, dass er sich, weil er sich weder als Israeli noch als Deutscher fühlen könne, eben seine eigene „kleine Welt“ suchen musste. – Hier hat er sie anscheinend gefunden.

„Auf jüdischem Parkett“ ist der erste lange Dokumentarfilm von Arielle Artsztein und der Journalistin und taz-Theaterkritikerin Esther Slevogt. Beide sind etwas jünger als das Ende der Fünfzigerjahre in Berlin gebaute jüdische Gemeindehaus in der Nähe des Kurfürstendamms.

Noch heute erstaunt es durch den Kontrast zwischen der nüchternen Außenhaut und der Wandelbarkeit im Inneren. Im Laufe des Films erlebt man das Gebäude als glamourösen Ballsaal, als Ort offizieller Gedenkfeiern, als Kinderbühne vor großem Familienpublikum, als aufgeregtes politisches Parkett vor den Gemeindewahlen – und als Synagoge. Doch im Laufe des Films tritt das Gebäude immer mehr hinter den Personen zurück, denen die Filmemacherinnen begegnen.

Da gibt es die Fotografin Helga Simon die seit 1952 jeden Chanukkaball und jeden Politikerbesuch fotografiert hat. Am Ende sieht man einmal, wie sie aus dem Bild gescheucht wird von neuen Generationen, deren Identität noch immer ein Spiegel geopolitischer Veränderungen ist. Wie der von Jewgeni Lubomorski: Seine Eltern kamen aus der früheren Sowjetunion.

Einmal ist ein Gespräch zu erleben zwischen einem Rabbiner und Ariel Schwalm, der in der Küche über die Einhaltung der Gebote wacht: wie viele Fliegen auf einem Kopf Salat seine Tauglichkeit für koscheres Essen verderben. Obwohl dieses Gespräch um etwas ganz Banal-Alltägliches kreist, wird an ihm doch die Fragilität der Konstruktion von Identität spürbar.

Das eben ist das ungewöhnliche dieser Produktion dieses „Kleinen Fernsehspiels“: nicht jenen hohen und pathetischen Ton anzuschlagen, mit dem jüdische Themen oft der Sphäre des Selbstverständlichen und alltäglich Gelebten entzogen werden.