Das kleine Protestpraktikum

Rund 100 Vertreter der „Generation Praktikum“ demonstrieren am Pariser Platz gegen ihre schlechte Stellung auf dem Arbeitsmarkt. Der Aktionstag ist ein Musterbeispiel deutscher Protestkultur

VON OLIVER VOSS

Etwas verwundert schauen die drei Mädchen über den Pariser Platz. Sie nehmen sich weiße Masken und stellen sich zu der Gruppe ebenso Maskierter, die zwischen Touristen und Kamerateams fast untergeht. „Normalerweise fängt man in Deutschland doch pünktlich an“, sagt eine von ihnen. Es ist Samstag, Punkt 12 Uhr. Doch sehr viel mehr als die versammelten einhundert Teilnehmer werden sich nicht mehr zum „Praktikantenaktionstag“ einfinden.

„Einige haben sogar selbst gemachte Plakate mit“, freut sich die Organisatorin Bettina Richter trotzdem. „Rent an Absolvent“ steht auf einem davon. Die Trägerin hat Betriebswirtschaft an der Berliner Fachhochschule für Wirtschaft studiert. „Seit einem halben Jahr bekomme ich jetzt Hartz IV und bin am Bewerben, Warten und Hoffen“, sagt die Stimme hinter der weißen Maske. Ihr Name tue nichts zur Sache: „Wir sind doch alle Teil einer anonymen Masse.“

Bettina Richter musste ebenfalls erfahren, dass selbst ein sehr guter BWL-Abschluss, Praktika sowie Auslandserfahrung keine Jobgarantie mehr bieten. Daher hat sie 2004 den Verein Fairwork gegründet, der sich für die Rechte von Praktikanten stark macht. Gemeinsam mit Gewerkschaften hatte Fairwork in mehreren europäischen Städten zu Protesten aufgerufen. „Aus Angst vor Leerstellen im Lebenslauf machen immer mehr Absolventen Praktika“, erklärt ein erster Redner. „Doch damit versaut man die Preise“, sagt er und fordert: „Verkauft euch nicht unter Wert!“ Dann werden besonders dreiste Jobanzeigen vorgelesen und der „Superpraktikant“ gesucht. Mit sieben Praktika hält eine junge Frau den Rekord.

Einer jungen Französin ist solch spielerischer Protest zu brav. Die Erasmus-Studentin ist mit einer Freundin aus Leipzig gekommen. „Meine Uni in Rennes ist seit Februar besetzt“, sagt Marie-Laure Tarban. Doch ihre deutschen Kommilitonen konnte sie nicht mobilisieren, die wollten lieber das Wochenende mit der Freundin verbringen. „Die Leute hier sind auch nicht so enthusiastisch“, wundert sich Tarban. „Bei uns in Frankreich singen alle, dann schreit immer jemand, und wir ziehen los.“

Doch demonstrieren ist heute verboten. Da die weißen Masken einen Verstoß gegen das Vermummungsverbot darstellen würden, musste die Veranstaltung als „Performance“ angemeldet werden. Als die französische Geschichtsstudentin das hört, guckt sie ungläubig und gibt weitere Protesttipps: „Ihr braucht auch mehr Flyer, die Touristen merken doch gar nicht, was hier los ist.“ Seit Wochen machen Jugendliche in Frankreich vor, wie man öffentlichkeitswirksam gegen prekäre Beschäftigungsverhältnisse mobilisiert. Doch nicht nur wegen der viel zitierten unterschiedlichen Protestkultur fällt die Berliner Aktion beschaulicher aus. Es fehle ein konkreter Anlass wie das französische Arbeitsmarktgesetz, gibt Nikola Richter zu bedenken. Sie hat die aktuellen Probleme in dem Buch „Lebenspraktikanten“ literarisch verarbeitet. „Praktikanten sind eine Gruppe ohne Lobby“, sagt Richter. Statt Gemeinschaftsgefühl herrschten Ellenbogenmentalität und Konkurrenzdenken beim Kampf um die begehrten Jobs vor. Deshalb sei es gut, dass Fairwork mit der Vernetzung begonnen habe, sonst gäbe es nicht einmal solche kleinen Aktionen.

„Ich bin aus Solidarität hier“, sagt eine Politikstudentin, die wie die meisten anonym bleiben möchte. Sie ist gerade für ein Praktikum bei amnesty international in Berlin, eigentlich studiert sie in Leipzig. Die Menschenrechtsorganisation zahlt der Praktikantin 153,94 Euro – ein Taschengeld nur, doch bei vielen großen Firmen oder im Bundestag gibt es gar nichts. „Ich habe Glück, weil meine Eltern mich finanzieren können“, sagt die junge Frau, „doch es gibt viele, die jobben müssen und sich unbezahlte Praktika gar nicht leisten können.“ Sie ist damit zufrieden, ein erstes Zeichen zu setzen.

„Es geht darum, das Bewusstsein zu schärfen“, erklärt auch Fabian Luz. „Ich habe jetzt einen anderen Blick auf Praktika“, sagt der Politikstudent, „nach dem Abschluss werde ich selbstbewusster auftreten und mich nicht zum Nulltarif verkaufen.“