Diesseits von Afrika

Rund 17.500 Menschen afrikanischer Herkunft leben in Berlin. Sie müssen gegen einen weit verbreiteten, häufig gewalttätigen Rassismus ankämpfen. Trotzdem fühlen sich die meisten von ihnen gut integriert. Ein Streifzug durch die Community

von Frauke Adesiyan

Jacobine Harms-Eyon sitzt auf ihrem riesigen, blauen Sofa und lacht. Sie lacht über sich selbst, wenn sie daran denkt, wie sie fremde Menschen an der Bushaltestelle anspricht und mit ihnen über die Kälte in Deutschland redet: „Wenn man den Menschen nett begegnet, sind sie ganz offen, wie eine Familie.“ Harms-Eyon kommt aus Kamerun, aber Zuhause ist für sie ihre Erdgeschosswohnung in Kreuzberg. Sie ist eine von etwa 17.500 in Berlin gemeldeten Afrikanern, und sie sagt von sich selbst: „Ich fühle mich absolut integriert.“

Die kleine, rundliche Frau muss eine Weile nachdenken, ehe ihr etwas einfällt, was sie an ihrer Wahlheimat nicht mag. Lange schaut sie die Kunstblumen an, die vor ihr auf dem blitzenden Glastisch sehen. Dann sagt sie zögerlich: „Bei Behörden muss man sehr lange auf Bescheinigungen warten. Aber zum Glück brauche ich von diesem Staat nichts – da habe ich meinen Frieden.“ Harms-Eyon ist eigentlich diplomierte Agraringenieurin: „Nur, was soll ich damit in Berlin?“

Sie schüttelt die geflochtenen Zöpfe auf den Rücken, ihre goldfarbenen Ohrringe hängen bis auf die Schultern. Nachdem sie als Altenpflegerin und Putzkraft gearbeitet hat, hat die 41-Jährige nun ihre eigene kleine Reinigungsfirma. Von Montag bis Samstag putzt sie Büros, Arztpraxen und Universitätsräume. Nur am Sonntag nimmt sie sich frei. Dann geht sie in die Kirche.

Die freikirchliche Gemeinde, die Harms-Eyon jeden Sonntag besucht, leitet der Ghanaische Pastor Jerenord Aidoo. 80 Prozent seiner Gemeindemitglieder kommen aus Afrika. „Unser Gottesdienst ist sehr afrikanisch“, erzählt der Pastor. „Wir tanzen wie die Verrückten.“ Während des zwei- bis dreistündigen Gottesdienstes hallen laute Stimmen, Schlagzeug und Trompeten durch die gemietete Kirche am Südstern. „Ich glaube, dass unsere Gemeinde ein bisschen Heimatgefühl bietet“, meint Pastor Aidoo. Doch er fordert auch etwas von seinen Schützlingen. In seinen Predigten spricht er von Respekt für die Kultur und die Gesetze Deutschlands. Integration, meint er, kommt von innen.

Und doch: Auch Aidoo plagt, nach 28 Jahren in Deutschland, bisweilen noch das Heimweh. „Ich vermisse die Luft, die Atmosphäre in Ghana. Viele Leute hier sind introvertiert und hocken in ihren vier Wänden.“ Dennoch fühlt er sich wohl in Berlin, genau wie Harms-Eyon. Über schlechte Erfahrungen wollen die beiden nicht reden, sie betonen lieber, wie viele deutsche Freunde sie haben.

Yonas Endrias weiß, dass es nicht immer so einfach ist. Der Politologe aus Eritrea ist Mitglied des Berliner Integrationsbeirats. Endrias ist sich sicher, dass der Integrationswille bei Afrikanern sehr stark ist. Aber ohne Akzeptanz in der Gesellschaft sei Integration nicht möglich. „Integration bedeutet nicht nur Grillwurst essen und Deutsch sprechen. Das ist kein Einwegsystem.“

Doch bei der Akzeptanz in der deutschen Gesellschaft hapert es. So sind afrikanische Menschen überdurchschnittlich oft von rassistischen Übergriffen betroffen. Für Endrias ist diese Tatsache mehr als nur ein statistisches Detail – sie schränkt sein Leben ein: „Als schwarze Familie ist es schier undenkbar, an einen See in Brandenburg zu fahren.“ Der heutige Rassismus gegenüber schwarzen Menschen ist für Endrias Ausdruck tradierter, kolonialer Projektionen.

Eine Ansicht, die die Vertreterinnen des Vereins Adefra mit ihm teilen. Adefra ist ein Zusammenschluss schwarzer Frauen in Deutschland. Die Frauen bekämpfen das Zusammenspiel von Sexismus und Rassismus, mit dem schwarze Frauen konfrontiert sind. „Schwarze Frauen werden häufig als exotisch angesehen. Diese Bilder sind sehr tief verwurzelt“, erzählt Ekpeyong Ani, eine von vier Frauen im Adefra-Vorstand.

Die Vereinsmitglieder sind es leid, dass sie als Schwarze gegen die Vorurteile ihrer weißen Mitbürger ankämpfen müssen. „Diese Aufklärung müsste die weiße Gesellschaft von sich aus anfangen“, bekräftigt Peggy Piesche von Adefra. Doch beide Vorstandsfrauen wissen, dass ihre Forderungen unpopulär sind. „Die Leute hören lieber von schwarzen Einzelschicksalen: Da ist es einfach, Mitleid zu empfinden“, sagt die Dozentin Piesche.

„Empowerment“ scheint in dieser Hinsicht das Zauberwort zu sein. Sowohl die Frauen von Adefra als auch Endrias vom Integrationsrat verwenden es gern. Für Piesche bedeutet das, schwarzen Frauen etwa in Computerkursen zu zeigen, dass sie ein selbstbewusstes Leben führen können. Für Yonas Endrias ist der neu gegründete Afrikarat ein Beispiel für Empowerment. Der Rat ist ein Dachverband für afrikanische Vereine in Berlin und Brandenburg, der sich zum Ziel gesetzt hat, den Afrikanern eine Stimme zu geben. Im Vergleich zu anderen Ausländergruppen hat die afrikanische Gemeinschaft kaum eine Lobby. Das soll nun durch den Afrikarat ausgeglichen werden.

Jacobine Harms-Eyon verwendet das Wort Empowerment nicht, doch auch sie betreibt es. Sie ist die Vizepräsidentin des Berliner Manyu-Vereins, in dem sich Kameruner aus ihrer Region treffen. Sie kennt ihre Nachbarn im Haus gut, und wenn sie endlich Zeit dafür hat, will sie auch einen Sprachkurs machen, beteuert sie noch an der Wohnungstür. Dann ruft sie einem vorbei eilenden Nachbarn ein fröhliches „Tschüßchen“ in den dunklen Hausflur hinterher.