„Toi, toi, toi“ – noch nicht Berlin

Auch an Hamburgs Hauptschulen kommt es zu Gewalt, aber die „bekommt man mit Pädagogik in den Griff“, sagen Schulleiter. Beratungsstelle betreut über 400 Fälle – das entspricht Berliner Niveau

von Kaija Kutter

Seine Tochter stand leichenblass vor der Tür, eine Lehrerin brachte sie heim. „Ein älterer Schüler hat ihr 20, 30 mal einen Basketball an den Kopf gedonnert, als sie am Boden lag“, erinnert sich der Vater. Die Folge war eine schlimme Gehirnerschütterung. Danach setzte die Zwölfjährige keinen Schritt mehr in die Altonaer Haupt- und Realschule.

Nicht nur in Berlin, wo die Lehrer der Rütli-Schule just die weiße Fahne hissten, kommt es zu brutaler Gewalt gegen Schüler und Lehrer. Doch Hamburger Schulleiter reden von „Einzelfällen“, die man mit „Pädagogik in den Griff“ bekomme. „Die extreme Situation, dass Kollegien wie in Berlin sagen, es geht nichts mehr, haben wir toi, toi, toi nicht“, berichtet Christian Böhm, der seit 2000 die bundesweit einzigartige „Beratungsstelle für Gewaltprävention“ leitet.

Böhm und sein sechsköpfiges Team bilden an mittlerweile 80 Schulen Streitschlichter aus, führen an 50 Grundschulen das „Faustlos“-Programm zur gewaltfreien Konfliktlösung durch und bilden jährlich hunderte von Lehrern im adäquaten Umgang mit dem einstigen Tabu-Thema fort. Doch der Experte vergleicht auch Zahlen. So führt sein Team 411 Einzelakten über gewaltauffällige Schüler. Böhm: „Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass sowas vor Ort gut bearbeitet wird und nicht in die Presse kommt“, berichtet er, was bis auf 30 oder 40 Fälle im Jahr gelinge. Von Berliner Kollegen weiß er, dass die Schulen dort 700 bis 800 Gewaltfälle pro Jahr melden, was der Hamburger Zahl im Verhältnis zur Bevölkerung „ungefähr“ entspreche.

Dennoch ist Bildungsbehördensprecher Alexander Luckow sicher, dass in Hamburg das Ausmaß der Berliner Probleme „nicht ansatzweise“ erreicht werde: „Wir haben nicht solche Ghettos mit so hohen Migrantenzahlen von 80 bis 90 Prozent.“ Auch sei Hamburg eine wirtschaftliche „Boomtown“ und „sozioökonomisch stabiler“.

„Ich glaube schon, dass die Strukturen mit Berlin vergleichbar sind“, hält Hamburgs GEW-Vorsitzender Klaus Bullan dagegen. Auch an der Elbe gebe es Stadtteile, die besonders stark belastet seien, während die Versorgung der Schulen mit Beratungslehrern „sehr zu wünschen“ übrig lasse. Es wäre deshalb klug, wenn Hamburg seine Hauptschulen präventiv mit Sozialpädagogen ausstatte.

„Mittelfristig“ gehöre die Hauptschule abgeschafft, sagt Bullan, eine Vorstellung, mit der sich in Hamburg sogar die CDU anfreundet und über deren Umsetzung in den kommenden Monaten in der Enquete-Kommission Schulstruktur beraten wird.

Dennoch versetzt die nun in Berlin ausgelöste Debatte viele Schulleiter in Zwiespalt. „Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht besser wäre, wenn die Lehrer der Rütli-Schule geschwiegen und sich nur Unterstützung organisert hätten“, sagt eine Billstedter Rektorin, die „genervt“ über die Schlagzeilen ist. Denn durch die Debatte werde die Hauptschule noch mehr als „Restschule“ abgestempelt: „Das Gefühl kommt bei den Schülern an.“

„Es ist dieses Restgefühl, das den Kindern zu schaffen macht. Die Wahrnehmung ‚ich bin nichts, ich kann nichts‘ macht etwas mit der Psyche“, bestätigt auch Petra Demmin, Leiterin der Heinrich-Wolgast-Schule in St. Georg. Es müsste für alle Jugendlichen deutlich sein, dass sie später einen Platz in der Gesellschaft finden. Doch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit sei ihr Abschluss nichts wert.

Acht von zehn seiner Schüler, berichtet auch Peter Braasch von der Haupt- und Realschule Oppelner Straße, fänden keinen Ausbildungsplatz und landeten statt dessen in berufsbildenden Warteschleifen. „Da kann man nur sarkastisch werden.“