Wirklich wahr!?

In der Ausstellung „click doubleclick“ beschäftigt sich Thomas Weski im Haus der Kunst mit dem dokumentarischen Moment in der Fotografie

VON IRA MAZZONI

Fotografische Arbeiten so groß wie Tafelbilder alter Meister verströmen in den Riesensälen des Münchner Hauses der Kunst die Aura wahrhafter Kunst. Und so großformatig die Werke, so groß die Worte, mit denen Kurator Thomas Weski das allen ausgestellten Bildern gemeinsame dokumentarische Moment versucht von der Wiedergabe des Wirklichen – wenn es die denn je in der Fotografie gab – abzuheben: Wahrhaftigkeit, Welthaltigkeit, Authentizität. Der Name der exquisiten Schau jüngster Fotografie „click doubleclick“ führt dabei in die Irre. Es geht nicht um die Differenz zwischen analogem Bild, dem einfachen Klick des Auslösers, und dem Produkt das nach dem Doppelklick bei der Wahl digitaler Bildverarbeitungsprogramme entsteht. Es geht nicht um weniger oder mehr Manipulation. Sondern es geht um das Wesen von Bildern schlechthin: Um eine „künstlerisch begründete Vorstellung von Welt“. Die alten Meister nannten das Naturnachahmung und meinten damit auch nie eine identische Reproduktion des Wirklichen. Dass bei der Fotografie die Natur mit Licht selbst zeichnet, war immer mehr technischer Mythos als Realität. Ob die Fotos analog oder digital entwickelt werden, hängt vom Motiv, der gewünschten Aussage und von den persönlichen Vorlieben des Künstlers ab. In jedem Fall ist der Betrachter gefordert, beim erkennenden Schauen das eigene assoziative Mittun bei der Konstruktion künstlerischer Wirklichkeiten zu bedenken.

Die Schau beginnt bewusst abstrakt, piktoral. Das glänzende Hard-Edge-Bild mit seinen horizontalen schwarz-gelben Parallelen kann der nach dem dokumentarischen Anteil forschende Ausstellungsbesucher mit einiger Konzentration als ausschließende Nahsicht eines Holzdecks identifizieren, durch dessen Ritzen Regenpfützen spiegeln. „Düsselstrand“ heißt das Werk von Andreas Gursky und zeigt wie sehr Nähe und Distanz, Erfahrung und Erwartung zur Konkretisierung einer malerischen Idee im fotografischen Medium beitragen, ohne die gestochen scharfe Referenz auf das real existierende Objekt zu verlieren. Aber was ist mit den rötlichen Schlierenbildern auf der Gegenwand? Wo verbirgt sich in diesen wallenden Gespinsten das Motiv? Hat Wolfgang Tillmans „Einzelgänger“-Serie überhaupt ein dokumentarisches Moment? Wird Fotografie erst in der Verweigerung des Abbildhaften autonome Kunst? Ein ähnliches Erscheinungsbild gemalt gäbe weniger Rätsel auf. Erst die fotografische Produktionsbedingung provoziert den Diskurs über das vermeintlich Reale. Dabei sind diese digitalen Abzüge so konkret wie die Lichtbilder des Bauhauses: Sie dokumentierien den direkten Lichteinfall bei der Entwicklung eines Farbfotos.

Wie abstrakt vermeintliche Wirklichkeit sein kann, beweist auch der lange Blick in die Tiefe des Saals. Aus der Distanz deutlich zu erkennen: Die Rauch und Schuttwolken des World-Trade-Centre. Doch steht man direkt vor dem Bild „jpeg ny 03“ von Thomas Ruff, dann sieht man nur pastellige, handflächengroße Pixelblöcke. Das Datum 2004 lässt zudem Zweifel an der Authentizität aufkommen. Das Vergrößern von kopiergeschützten, reduzierten Bildinformationen im Internet ist eine Strategie, die nicht nur die Konstistenz digitaler Bilder reflektiert, sondern auch die Malerei, die sich fotorealistisch nennt. Was sehen wir, wenn wir meinen ganz nah an der Realität dran zu sein?

Flankiert wird die lange Blickachse der abstrakten Konfrontation von Werkgruppen, die in Format und Anspruch dem niederländischen Gruppenportrait des 17. Jahrhunderts verpflichtet scheinen. Einerseits die Serie von Thomas Struth „Audience“, die vom immer gleichen Standort aus Museumsbesucher bannt, die erstaunt, amüsiert, gelangweilt zum David von Michelangelo aufblicken. Ein reziprokes Lehrstück über das Kunstsehen und seine sozialen Bedingungen in einem Bild, dessen Arrangement so gültig scheint, dass eine Verwechslung mit einer Reportage über Kunsttourismus ausgeschlossen ist. Was Struth mit seiner Großformatkamera erreicht, besorgt Luc Delahaye mit einer Panorama-Kamera. Der ehemalige Magnum-Fotograf ist den Ereignissen der großen Politik treu geblieben. Er hat nur den Standort und das Format gewechselt: Er tritt hinter das Präsidium und blickt auf die Phalanx der fotografierenden, filmenden, Mikro und Telefon haltenden, schreibenden Reporter. So entsteht auf der einen Seite des Tisches Nachrichtenwirklichkeit und auf der anderen ein meisterhaftes komponiertes Gesellschaftsstück.

Die Ausstellung ist alles andere als eine Starrevue. Sie ist direkt, präzise, philosophisch, hintergründig. Sie regt zum Sehen und Entdecken an. Sie zeigt dabei verschiedene Strategien, wie der Fotokünstler der Reportage entkommt ohne seinen Gegenstand zu verlieren. Da wären die liebevoll humoristischen Bilder, die der Niederländer Hans van der Meer von Kickern auf dem platten Land gemacht hat. In seinen bunten Choreografien spielt der Fußball nur am Rande eine Rolle. Dabei erinnern die Aufnahmen an Genre- und Landschaftsbilder in der Tradition eines Hendrick Averkamp. Wirkt ein Bild umso authentischer, je zufälliger und dilettantischer es erscheint? Stephen Gell fotografiert mit einer Flohmarkt-Kamera das Treiben in Hackney Wick. Doch die verwaschenen, verwischten Momentaufnahmen evozieren Geschichten, die nichts mehr mit dem Trödelhandel auf einer Londoner Brache zu tun haben.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie viele junge Fotografen zur Großformatkamera greifen und Kunstlicht setzen, um Würde und Persönlichkeit ihrer Modelle zu wahren oder Distanz für Inszenierungen zu schaffen. Das Bewusstsein dafür, dass natürlich alles künstlich ist, gehört zu den Voraussetzung einer Kunst, die aus dem vermeintlich dokumentarischen Wert schöpft. Von den quasifilmischen Sequenzen von Paul Graham bis hin zu den Nahaufnahmen verblassender Lebensspuren von Laurenz Berges präsentiert die Schau ein breites Spektrum autonomer Bilder mit ungeheurer narrativer Potenz.

Bis 23. April, Katalog (Buchhandlung Walter König) 48 €