Witzige Wurzeln

Nach 36 Jahren kehrt Alemannia Aachen in die Bundesliga zurück. Dort will man gegen „die konformierten Klubs Spaß haben“ und die neue Konkurrenz ins Leidenschaftsgestrüpp locken

„Viele werden herkommen und vorher lächeln“

AUS AACHEN BERND MÜLLENDER

Kapitän Reiner Plaßhenrich gab strahlend eine Schnellauskunft: „Drei Punkte, Erster, Tschüss.“ Nachfrage: Wer kann Alemannia noch aufhalten? „Niemand mehr.“ Marius Ebbers, Siegtorschütze aus Minute elf: „Wir können uns nur noch selbst aufhalten.“ Aber bitte, wie sollte das gehen bei zwölf Punkten Vorsprung und verbleibenden sechs Spielen? Ebbers ratlos: „Tja, weiß ich auch nicht.“

Nur Nostradamus, wäre er Arithmetiker gewesen, würde jetzt noch ernsthaft Rechenspiele anstellen. Aachen wird nach 36 Jahren in die erste Liga zurückkehren. Die Frage ist nur, wann darf offiziell gefeiert werden? Schon Ostermontag nach dem Gipfeltreffen mit Bochum? Oder erst eine Woche später? Die andere Frage ist: Wie will sich diese Mannschaft in Liga 1 halten? Fragen sich auch die Fans. Und antworten: Mainz hat es doch vorgemacht, mit der Aufstiegself, mit Teamspirit und Gemeinschaftsgefühl statt Ego. Die zweite Halbzeit gegen 1860 war für Aachen schon eine Art Erstliga-Praktikum: Der Gegner im Rückstand drückend überlegen, spielerisch stark, aber in Alemannias hinterem Leidenschaftsgestrüpp kaum mit Torchancen.

Sportdirektor Jörg Schmadtke gab nachher sein Lieblingsspiel noch intensiver als sonst: Mr. Cool sein, Fragesteller foppen und auflaufen lassen, wenig sagend viel sagen. Ist man mit 20 Millionen Etat in der Bundesliga konkurrenzfähig? „Man kann vieles.“ Und fragte zurück: „Wann ist zuletzt jemand mit einstelligem Etat aufgestiegen wie wir?“ Man wolle „etwas exotisch sein“. So wie Mainz, St. Pauli? „Wir vergleichen nicht. Wir sind Alemannia Aachen. Wir sind anders als die konformierten Klubs, von denen viele auch noch sehr austauschbar sind.“ Na, wer mag sich da angesprochen fühlen?

Größte Besonderheit, natürlich, wird das Stadion sein, der Tivoli. „Hier zu spielen, ist für jeden aus der Bundesliga ein Stilbruch. Da kommen sie zu den Wurzeln des Fußballs zurück.“ Der Tivoli: Eine charmante Bruchbude von 1928 mit ganzen 3.600 Sitzplätzen, der Rest halbmarode Stehwälle für 18.000, immerhin ein Toprasen, aber gewöhnungsbedürftige Umkleidekabinen: „Das wird ganz schön witzig. Viele werden herkommen und vorher lächeln“, sagt Schmadtke, „und wir sehen dann mal, wer nachher noch lächelt.“ Die Bayern? „Die haben doch gelächelt vor zwei Jahren.“ Als sie gingen, hatten sie das Pokalviertelfinale 1:2 verloren.

18 Verträge sind unter Dach und Fach – 17 Spieler werden bleiben, Nico Herzig aus Burghausen kommt dazu. Insbesondere in der Abwehr muss noch Personal beigemischt werden, das sagt auch Schmadtke. Angreifer Erik Meijer, 36, derzeit wegen Tinnitus nicht dabei, wechselt ins Club-Marketing. Willi Landgraf, 37, zweite Aachener Kultfigur, will immer weiterspielen und hat die Zusage für seinen ersten Erstliga-Kurzeinsatz – wenn er als Stand-by-Profi bleibt.

Und 1860? Der Talfahrtklub hatte am Ende kurioserweise 14:3 Ecken, aber keinen einzigen Schuss auf Kristian Nichts Tor geschafft. Nicht sagte nach dem Zittersieg an seinem 24. Geburtstag: „Ich bin heute eher 29 geworden.“ Und lobend über die Münchner mit einem neuen Fachbegriff: „Das ist keine Hustensafttruppe.“ Kränkelnd wirkten sie trotzdem, unbeherrscht und dumm. Daniel Baier ging nach dem Schlusspfiff auf einen Balljungen los, der ihm Minuten vorher den Ball nicht gegeben hatte.

Die zusammengekaufte Startruppe wäre die typische Mannschaft, die sich spielerisch elegant in die dritte Liga kombiniert. Und dann wundert. Fünf Punkte Sicherheit sind es nur. Torwart Timo Ochs analysierte leichtherzig: „Der Abstiegsdruck kommt von den Medien.“ Und Schmadtke sagte auch noch was über 1860: „Wir haben eine Mannschaft.“