Neue Formen des Berliner Sightseeings
: Mit Junge-Reyer im Sumpf, mit Flierl auf den Spuren der Mauer

Das Berlin-Sightseeing nimmt merkwürdige Formen an. Bald wird man Touristen sehen, die mit gesenkten Köpfen von der Friedrichstraße Richtung Reichstagufer laufen und in ihre Handy-Displays starren. An den unmöglichsten Stellen werden sie stehen bleiben und auf ein unscheinbares Stück Straße starren. Hören werden sie nichts, denn sie werden Ohrstöpsel tragen und sich von einer zarten Stimme auf Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch oder Spanisch auf den Spuren der Berliner Mauer führen lassen.

Dieses heitere Zukunftsszenario projizierte die Senatsverwaltung für Kultur gestern im Roten Rathaus für Pressevertreter an die Wand. Noch besteht allerdings keine Gefahr für den Straßenverkehr, denn die gestern freigeschaltete Mauer-Website www.berlin.de/mauer ist noch nicht Handy-kompatibel. Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei) erklärte aber schon mal die Grundfunktion des virtuellen Mauer-Gedenk-Guides.

Der Besucher kann sich anhand von 19 Detailkarten durch ehemalige Grenzübergänge, Mauergedenkstätten und „points of interest“ klicken und Informationen abrufen. Bei gedrückter Maus lassen sich die ehemalige Grenze mit dem Finger nachfahren und Details der ehemaligen Maueranlagen betrachten. Die durch einen so genannten Audioguide geführten Mauerspaziergänge fürs Handy soll es schon nächstes Jahr geben.

Während Flierl noch im virtuellen Tourismus-Bereich blieb, legte seine Stadtentwicklungs-Kollegin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) wenige hundert Meter entfernt gleich richtig los. Sie durchschritt den Baustellendreck auf dem Schlossplatz und erklomm einen rot angestrichenen Sperrholzwürfel, um die „Palastschaustelle“ einzuweihen. Das Ensemble aus Aussichtsplattform und Bauzaunausstellung wirkt wie eine mickrige Kopie der legendären Info-Box am Potsdamer Platz. Statt raffiniert angebrachter Baustellenkameras erwartet die Touristen der schnöde Blick auf die Baustelle und ein Überblick über „500 Jahre gebaute Geschichte“ in Plakatform.

Junge-Reyer versuchte auf dem Türmchen mit Worten das geplante Humboldt-Forum erstehen zu lassen, doch ihre Stimme ging im Baulärm unter. Touristen können immerhin wählen, ob sie wie ein Erdmännchen auf einem Sperrholztürmchen herumstehen wollen. Sie können sich auch virtuell auf www.palastschaustelle.de über den Weg vom „Schloss als Ort parlamentarischer Tradition“ bis zum „Marktplatz des Wissens im Dialog der Kulturen“ informieren. Zum Glück gibt es zu diesem virtuellen Sightseeing-Angebot keinen Audioguide. NINA APIN