ACHSE DES BRITPOP – VON THOMAS WINKLER
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Der Hype aus Brighton

Britannien ist stolz. Lange war der Nachwuchs nicht mehr so vielversprechend und die Weeklies können sich kaum entscheiden, wen sie Woche für Woche aus der Anonymität aufs Cover hieven sollen. Momentan gilt die Aufmerksamkeit vornehmlich The Kooks: Das Quartett aus Brighton wurde zuletzt so erfolgreich durch den britischen Hype-Fleischwolf gedreht, dass sich Bassist Max Rafferty bereits zur Erholung eine Auszeit nehmen musste.

Tatsächlich ist das Debütalbum der Kooks, bedenkt man auch noch das Durchschnittsalter von 19 Jahren, geradezu unheimlich gut gelungen. „Inside In/Inside Out“ verknüpft so souverän jugendliches Ungestüm mit cleveren Zitaten, leichtfertig hingeschlumpte Melodien mit fein ziselierten Pop-Arrangements, kunstvoll arrangierte Harmoniegesänge mit vorwärts preschenden Gitarren, dass man geneigt ist, eine musikalische Größe von der Statur eines Brian Wilson hinter der Unternehmung zu vermuten. Überraschend sind vor allem die Songs über Erektionsprobleme („Eddie’s Gun“), von denen Sänger Luke Pritchard behauptet, er habe sie zum Teil bereits im zarten Alter von 14 Jahren verfasst, die ihm schon Vergleiche mit Ray Davies eingebracht haben. Vom Blues allerdings, das beweist „Time Awaits“, sollten The Kooks besser die Finger lassen.

The Kooks: „Inside In/Inside Out“(Labels/EMI)

Der Hype aus Hull

Die Arctic Monkeys lauern im Königreich momentan an jeder Referenzecke, also müssen selbst die aknegeplagten Paddingtons damit leben, dass sie mit noch größeren Pickelgesichtern verglichen werden. Dabei erinnert das Quintett aus Hull weniger an deren Überväter The Jam, sondern viel mehr an The Buzzcocks. Zwar sind auch The Paddingtons stolz auf ihr Arbeiterklassenbewusstsein, singen von Alkohol und Mädchen, von Lebensüberdruss und Gewaltfantasien, doch sie adaptieren lieber den reinrassigen, geradeaus gerichteten Punkrock alter Prägung.

Für das Cover ihres ersten Albums „First Comes First“ lassen sie sich in T-Shirts und Sakkos vor einer Wand fotografieren, als seien sie die frühen The Clash. Wie die haben sie mit „Alright in the Morning“ einen ungelenken Reggae im Angebot. Mindestens so viel gelernt haben sie auch vom chaotischen Vorwärtsdrang der Libertines oder Babyshambles, mit deren Pete Doherty man gut befreundet sein soll. Vor allem aber sind ihre Songs so eingängig, dass man mitsingen möchte, sobald der Refrain zum zweiten Mal erklingt. Schlussendlich eine Band, die Alt und Jung verbindet: Denn „First Comes First“ ist die Platte für jeden Alt-Punk, der seinen Enkelkindern vorführen will, was 1976 denn nun so prickelnd gewesen sein soll.

The Paddingtons: „First Comes First“ (Mercury/Universal)

Der Hype aus New York

Die allerenglischste Platte von allen kommt aber aus New York. Nightmare Of You wandeln auf ihrem gleichnamigen Debüt so passgenau in den Fußstapfen der Smiths, dass sich selbst Morrissey fragen lassen muss, wer hier für das Verwalten seines Erbes zuständig sein soll. Das Quartett hat einen unaufgeregten Gitarrenpop entwickelt, der in mittelschnellem Tempo voran schwebt, während Brandon Reilly mit großer Geste und dunklem Timbre, aber immer ein wenig manieriert das Mikrofon malträtiert.

Reilly hat verkündet, „enorm groß in England“ werden zu wollen, und gibt als Einflüsse ausschließlich englische Bands an: Beatles, Squeeze und natürlich The Smiths. Allerdings ist kaum vorstellbar, dass Morrissey jemals solch feuchte Fantasien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hätte wie Reilly. Nein, Reilly ist kein Gentleman und kein Vegetarier. Er singt von Sex auf der Toilette und hat seinen Tom Robbins gelesen, wie er in „Thumbelina“ beweist, das auf „Even Cowgirls Get The Blues“ beruht. Trotz solcher Bezüge und obwohl die Charaktere seiner Songs in L. A. oder New York leben, sind sie und ihre Obsessionen doch tatsächlich recht britisch. Und schließlich will es der Protagonist von „Ode to Serotonin“ gern auf einer Terrasse im Regen treiben. Das Klima für solche Fantasien gibt es am ehesten auf der Insel.

Nightmare Of You (Full Time/RTD)