CDU-Chef gibt den US-Sheriff

Im Parlament muss sich Bildungssenator Klaus Böger scharfe Kritik gefallen lassen. Dabei diskutieren die Parteien mehr als nur die Vorfälle an der Neuköllner Rütli-Schule. Es geht vor allem um Klischees, Ideologien und Wahlkampf

Die SPD-Abgeordnete Felicitas Tesch verlässt mit schnellen Schritten das Rednerpult und wirft einen erbosten Blick in die CDU-Reihen. „Es handelt sich um ein deutsches Problem. Das sind unsere Kinder, und die dürfen nicht entsorgt werden!“, hat Tesch gerade gerufen. Die CDU antwortete mit hämischem Gelächter. In der gestrigen Plenardebatte ging es um mehr als nur Bildungspolitik. Es ging um Wahlkampf, um Klischees, um Ideologien.

Das Parlament diskutierte die Vorfälle an der Neuköllner Rütli-Schule – neue Gedanken blieben nach der aufgeregten Debatte der vergangenen Tage erwartungsgemäß aus. Stattdessen nutzte die Opposition genüsslich die Gelegenheit, den Bildungssenator vorzuführen.

FDP-Fraktionschef Martin Lindner, der bisher nicht mit bildungspolitischer Expertise auffiel, griff zur Verbalkeule: „Sie haben Schande über Berlin gebracht“, rief er in Richtung Klaus Böger (SPD). Wegen der lahmen Reaktion der Schulverwaltung werde jetzt „ein Phänomen mit Berlin verbunden, das genauso in Frankfurt oder München auftreten kann“. Böger lästerte im Gegenzug über die „große Klappe von Zugereisten“ – gab sich ansonsten aber nachdenklich. „Leider haben sich viele Eltern von der Erziehung ihrer Kinder verabschiedet.“ Die Hauptschulen würden aber mit vielen Instrumenten gegensteuern, etwa einem Netzwerk mit Unternehmen. Bögers Botschaft: Die Hauptschule funktioniert.

Diese Einschätzung ist in der Koalition äußerst umstritten. Für die Linkspartei sagte Vize-Fraktionschefin Carola Bluhm: „Es ist an der Zeit, das dreigliedrige Schulsystem zu überwinden.“ Wer zur Hauptschule müsse, gelte als gescheitert. Die SPD ist vorsichtiger. „Jetzt eine überhastete Strukturdebatte zu führen, hilft nicht weiter“, stimmte Schulfachfrau Tesch ihrem Senator zu.

CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer ritt eine Generalattacke gegen „Multikulti-Träume“. Jugendliche nähmen sich Gangster-Rapper als Vorbild, vertickten Drogen auf den Klos, keiner aus dem letzten Jahrgang der Hauptschule habe einen Ausbildungsplatz bekommen, so der smarte CDUler: „Ein Komplettausfall.“ So gebrandmarkt hätten die Hauptschüler bei Zimmer nichts zu lachen. Regelmäßige und harte Kontrollen an den Schulen müssten her, außerdem Sanktionen für die, die nicht ordentlich Deutsch lernen. Den Höhepunkt seiner Rede borgte sich Zimmer von einem anderen berühmten Konservativen aus – von US-Präsident George W. Bush: „Was wir brauchen, ist mitfühlende Härte an den Schulen!“ Die meisten Abgeordneten waren zu baff, um zu lachen.

Der Versuch der CDU, die Schulprobleme wahlkampftauglich mit Ausländerrecht zu verknüpfen, wurde von allen anderen Parteien scharf kritisiert. „Ich finde es unglaublich, wie Sie die Rütli-Schule instrumentalisieren“, sagte die grüne Fraktionschefin Sibyll Klotz. Sie forderte eine „gemeinsame Anstrengung“ von Parteien, Vereinen, Gruppen und Betrieben für mehr Integration. Von der Förderidee („Warum nicht Ausbildungsplätze für die zehn Besten der Rütli-Schule?“) und der Vision eines „Integrationsministeriums“ steigerte sich Klotz zur gerne bemühten Forderung, das Thema zur Chefsache zu machen. Klaus Wowereit (SPD) nickte freundlich, ganz im Sinne der rot-grünen Flirts der vergangenen Wochen. ULRICH SCHULTE