Tragikomisches Abziehbild seiner selbst

Die mühelose Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, ist perdu, die bezaubernden Ein- oder Zweizeiler aber schüttelt er weiterhin mit beeindruckender Leichtigkeit aus dem Ärmel: Mike Skinner hat mit „The Hardest Way To Make An Easy Living“ sein drittes The-Streets-Album veröffentlicht

von TOBIAS RAPP

Man hört ihm gern zu, immer noch. Mike Skinner alias The Streets, die sympathischste zeitgenössische Verkörperung jenes tief im popkulturellen Unbewussten der westlichen Welt verankerten Stereotyps des nordenglischen Working-Class-Jungen, der sich durch die Klippen eines unübersichtlich organisierten Alltags navigieren muss. Der grobem Spaß so wenig aus dem Weg geht, wie er die nötige Sensibilität hat, in die feinsten Kapillaren seiner Gefühlswelt hineinzuhorchen.

Vor vier Jahren erfand sich Skinner mit „Orginal Pirate Material“, als „Geezer“, wie diese jungen Männer sich damals nannten, und berichtete zur Freude einer überraschten Öffentlichkeit von Rangeleien auf Parkplätzen und nächtelangen Playstationspielen in Sozialbauten. Die Platte verkaufte sich mehrere Millionen Mal.

Für sein zweites Album „A Grand Don’t Come For Free“ zwei Jahre später zog er dann nach London, und dass er als angehender Millionär nicht mehr ohne gewisse Glaubwürdigkeitsverluste von den Vergnügungen der unteren Schichten berichten konnte, machte er durch eine konzeptuelle Überhöhung der Platte wett. Das Album erzählte eine Liebesgeschichte und setzte genau dort ein, wo der Vorgänger aufgehört hatte.

So geht es aber nicht weiter: Nach dem Plattenbauhochhaus des ersten Albumcovers und der Bushaltestelle des zweiten lehnt Mike Skinner für sein neues Album „The Hardest Way To Make an Easy Living“ (Warner) an seinem Rolls-Royce. Und wenn seine bisherigen Platten immer Selbstbefragungen waren, so ist es auch die neue – bloß auf einem anderen Level, ökonomisch wie medial.

Das hat Folgen: Skinner hat etwa eines seiner beiden großen Talente fast vollkommen abgeschaltet, seine mühelose Fähigkeit Geschichten zu erzählen nämlich. Die Narration ist ausgelagert, Skinner überlässt es den britischen Popmedien, über Rangeleien zwischen ihm und seinen Fans zu berichten, über eine Affäre mit einer Casting-Group-Sängerin, zerstörte Hotelzimmer oder den Tod seines Vaters. Auf „The Hardest Way To Make An Easy Living“ übernimmt Mike Skinner die Kommentarstimme zu all diesen Vorfällen.

Er verlässt sich ausschließlich auf sein zweites Talent, die bezaubernden Ein- oder Zweizeiler, die er nach wie vor mit einer Leichtigkeit aus dem Ärmel zu zaubern scheint, die den wirklich begabten Rapper ausmacht. Sei es in dem Stück „Two Nations“, das ursprünglich für ein Notorious-B.I.G.-Tributalbum aufgenommen worden war, aber von P. Diddy aus leicht einsichtigen Gründen abgelehnt wurde. Besteht Skinner doch darauf, dass die USA im Wesentlichen aus zwei Gründen nichts taugen: Ihr Englisch ist falsch („We were the ones who invented the language“) und sie erschießen zu viele Stars. „We love Biggie, Johnny Cash and Stevie Wonder / it’s no biggie, that we have no Johnny Cash and no wonder / we gave you people like John Lennon / even though --- you shot him as well.“ Oder die umwerfend komische Single „When You Wasn’t Famous“, die mit der Klage beginnt: „The shit that got it all fucked up is camera phones / how the hell should I do a line in front of complete strangers / when they got cameras?“, die die Geschichte einer schief gelaufenen Affäre mit einer Sängerin erzählt und die schöne Hookline hat: „When you’re a famous boy, it’s so easy to get girls / It’s all so easy that you end up spoiled / So when you try to pull a girl, who is also famous too / It feels just like when you wasn’t famous“. Ähnliches findet sich noch ein Dutzend Mal. Das war’s dann aber auch.

Denn sei es der KokainAbusus, sei es die generelle Selbstüberschätzung, die mit dem Superstar-Dasein einhergeht: Die thematische Selbstbeschränkung auf Snapshots aus seinem Leben lässt Skinner zu einem tragikomischen Abziehbild seiner selbst werden. Das hört man auch der Produktion an, die sich noch pappkartonartiger anhört als die seiner Vorgängeralben. „Hotel Expressionism“ etwa, ein Stück über die Kunstform des Hotelzimmerzerstörens etwa, klingt wie aus dem Mülleimer von Lalo Schifrin gezogen.

Hier hat jemand öfters mal keine Lust. Auch das hat seine Berechtigung und Qualitäten. Doch es gibt Dinge, die macht man besser mit sich selbst aus.