Jobcenter kennen keine Gnade

Jobcenter weisen oft auch alte, kranke und behinderte Hartz-IV-Empfänger an, ihre Wohnkosten zu senken – und notfalls umzuziehen. Damit verstoßen sie gegen die Vorschriften des rot-roten Senats

von WALTRAUD SCHWAB

Die Jobcenter fordern auch alte, kranke, behinderte und allein erziehende Menschen auf, ihre Wohnkosten zu senken – unter anderem durch Umzug. Das teilten die Akteure der „Kampagne gegen Zwangsumzüge“ gestern mit. „Weder Härtefälle noch Personen, die nach der Berliner Ausführungsvorschrift Wohnen vor Umzügen geschützt sind, bleiben verschont.“ Damit verstoßen die Behörden gegen die Richtlinien des Senats, in denen die Ermittlung der angemessenen Wohnkosten geregelt wird.

Dies hat die erste Auswertung des Krisen- und Beschwerdetelefons ergeben, an das sich Hartz-IV-EmpfängerInnen wenden können. Vor zwei Wochen wurde es von der Kampagne eingerichtet. Über 100 Menschen haben sich bisher hilfesuchend an den ehrenamtlichen Notruf gewandt.

„In der Mehrzahl der uns geschilderten Fälle empfehlen wir Betroffenen, Einspruch gegen die Aufforderung zur Senkung der Wohnkosten oder gar zum Umzug zu erheben. Die Ausführungsvorschriften der Sozialsenatorin würden ihnen Recht geben“, sagt Thomas Rudek von der Berliner Mietergemeinschaft. Sie beteiligt sich an der Kampagne.

Die Ausführungsvorschriften sehen vor, dass Ältere, Schwangere, Alleinerziehende sowie Familien mit Kleinkindern oder Mieter, die schon mindestens 15 Jahre in einer Wohnung leben oder behindert sind, nicht zum Umzug aufgefordert werden können. Fest stehe, dass die Leute verunsichert seien, so Rudek.

Roswitha Steinbrenner, Sprecherin von Sozialsenatorin Knake-Werner (Linkspartei.PDS), hingegen meint, dass die Vorstöße der Kampagne die Menschen verunsicherten. Die Jobcenter müssten sich an die Ausnahmeregelungen halten. Derzeit liefen in den Bezirken die ersten Überprüfungen. Sie zeigten, dass weit weniger Haushalte als erwartet über den Regelsätzen liegen, so Steinbrenner. Für einen Ein-Personen-Haushalt sind das 360 Euro. Bei einer Überprüfung von 15.400 Bedarfsgemeinschaften in Tempelhof-Schöneberg, und damit knapp fünf Prozent der Berliner Betroffenen, lagen nur 469 über dem Richtwert.