Integration spaltet

VON LUKAS WALLRAFF

Es gibt Tage, an denen man denken könnte, Rot-Grün regiere noch – gegen die Union. An diesem Wochenende jedenfalls verliefen die politischen Fronten wie zu den vergessen geglaubten Zeiten der Ära Schröder. In der Integrationsdebatte reagierten führende Sozialdemokraten und Grüne gleichermaßen empört auf neue Vorschläge aus der CDU/CSU, die weitere Verschärfungen im Ausländerrecht verlangten.

Die aufgeregte Diskussion, die durch den Hilferuf von Berliner Hauptschullehrern ausgelöst wurde, entwickelt sich zu einem Streitthema innerhalb der großen Koalition. Während sich Kanzlerin Angela Merkel mit der Ankündigung eines „Integrationsgipfels“ irgendwann in diesem Jahr begnügt, meldete sich SPD-Chef Matthias Platzeck nun mit deutlicher Kritik an der Union aus dem Krankenstand zurück. Er wählte die Integration als Einstiegsthema für einen Aufsatz im Spiegel zum heutigen Beginn der SPD-Programmdebatte. Ausführlich geht Platzeck auf „die Vorgänge an der Berliner Rütli-Schule“ ein, deren Lehrer über Gewalttätigkeiten und Disziplinlosigkeiten von Migrantenkindern geklagt hatten. „Bei einigen konservativen Politikern haben die Ereignisse sogleich die üblichen gedankenlosen Reflexe ausgelöst“, schrieb Platzeck. „Vom ‚Wegschließen‘, ‚Rausschmeißen‘ und ‚Abschieben‘ ist die Rede, ja sogar von der Einweisung Jugendlicher in den ‚Schnupperknast‘.“ Platzecks Fazit: „Das alles hilft uns in Deutschland heute kein Stück weiter.“ Die richtige Antwort auf die Probleme werde man „nie und nimmer“ darin finden, die Spaltung unserer Gesellschaft in Gewinner und Verlierer, in Insider und Outsider nur noch mehr zu vertiefen. „Wahr ist allerdings, dass uns die Berliner Vorgänge eindringlich zum Umsteuern auffordern.“ Denn es gebe „deutliche Defizite“ bei der Integration. Wohin genau Platzeck die SPD steuern möchte, ließ er freilich offen. Konkrete Maßnahmen sind in seinem Aufsatz nicht enthalten.

Der SPD geht es zunächst offenbar darum, einen anderen, weicheren, liberaleren Ton anzuschlagen als die Union. Deren Fraktionschef Volker Kauder antwortete im Tagesspiegel auf die Frage, ob die Union eine Politik der harten Hand verfolge: „Ich würde es als Politik der konsequenten Hand bezeichnen.“ Dies sei „allemal besser als schlaffes Multikulti“.

Wie Platzeck sieht auch Kauder einen Zusammenhang zwischen Sozial- und Migrationspolitik. So müsse erörtert werden, „ob nicht unser Sozialsystem Fehlentwicklungen begünstigt“, erklärte Kauder. „Kinder dürfen nicht daheim erleben, dass man in diesem Land den ganzen Tag im Bett bleiben kann und trotzdem vom Staat finanziert wird.“ Die Auszahlung von Sozialleistungen sollte davon abhängig gemacht werden, dass die Empfänger „eine Aktivität nachweisen“.

Der CSU-Vorstand beschloss einen Fünf-Punkte-Plan zur Verbesserung der Integration (siehe unten). Der innenpolitische Sprecher der Union, Hans-Peter Uhl (CSU), sprach sich dabei für „einen neuen Tatbestand der Integrationsverweigerung“ aus, der mit Sanktionen oder Ausweisung geahndet werden sollte. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zeigte sich davon wenig angetan: Einen Tatbestand zu schaffen „nach dem Motto: ‚Wer nicht integriert ist, der wird ausgewiesen‘, halte ich unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten kaum für vorstellbar“.

Auch der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck nannte die Sanktions-Forderungen der CSU „absurd“. Er wies darauf hin, dass es bereits Sanktionsmöglichkeiten gebe. „Das Zuwanderungsgesetz lässt heute schon die Verpflichtung von länger hier lebenden Ausländern zu Integrationskursen zu.“ Kürzungen von Sozialleistungen seien nach dem Zuwanderungsgesetz und Hartz IV bei denen möglich, die der Verpflichtung nicht nachkommen. „Deshalb ist die Forderung nach neuen Sanktionen überflüssig.“