Simple Minds

Zwei renommierte US-Professoren fragen, ob man die „Israel Lobby“ kritisieren darf – und liefern ein Lehrstück dafür, ab wann die Kritik an Juden zum Antisemitismus wird

Auch eine schlechte Politik ist nicht das Resultat nur eines Motivs, sondern mehrerer Einflüsse

Eine Art Studie, kompiliert auf 42 Seiten – rechnet man die Fußnoten hinzu, auf 82 Seiten – erregt derzeit die Gemüter in den USA. Verfasst ist sie von zwei prominenten Politologen, John J. Mearsheimer, Professor an der Universität Chicago, und Stephen M. Walt von der John F. Kennedy School of Government, dem renommierten Politik-Departement der Harvard-Universität. „The Israel Lobby and U. S. Foreign Policy“ (Die Israel-Lobby und die US-Außenpolitik) heißt das Papier. Es ist der schlichte Versuch, zu beweisen, dass die US-Außenpolitik gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten von vornehmlich jüdischen Israelfans und ihren Organisationen gesteuert wird.

„Tabubruch“, freuen sich die einen: dass „es“ sich endlich jemand zu sagen traut. Besonders gut: dass „es“ jemand in gehobener Stellung wagt. „Antisemitismus!“, ruft da die andere Seite sofort. Und hat Recht. Denn wie so oft in solchen Fällen werden an sich korrekte Fakten zu einem tendenziösen Brei verrührt. Die Fakten: Israel macht kritikwürdige Politik. Die USA unterstützen Israel. Es gibt in den USA gut organisierte (rechts-)zionistische Organisationen, die US-Politikern ordentlich einheizen, wenn sie auch nur leisen Druck auf Israel ausüben, und die auch sonst nicht zimperlich sind – so mobben sie zuweilen US-Universitäten, wenn diese etwa arabische Professoren engagieren wollen. Diese Lobbyorganisationen sind recht mächtig, weil sie ihre Sache effektiv machen.

Darüber hinaus gibt es in den USA einen jüdischen Bevölkerungsanteil, der in seiner überwiegenden Mehrheit zwar dem linksliberalen Lager nahe steht und auch gegenüber Israels Besatzungspolitik eine kritische Haltung einnimmt, der aber doch eine emotionale Verbundenheit mit Israel verspürt – und für die Argumente der Lobbyorganisationen deshalb ansprechbar und auch mobilisierbar ist. Dann gibt es die neokonservative Rechte, die auf eine aktivistische Außenpolitik orientiert ist, mit der Nahostpolitik im Zentrum ihrer Konzepte. Schlussendlich gibt es eine evangelikale christliche Rechte, angeführt von bigotten Predigern, die der irren Idee anhängt, Gottes Reich werde erst errichtet, wenn die Juden wieder das gesamte Erez Israel für sich haben, und die aus diesem Grund Israel unterstützen.

Um den Einfluss ihrer jeweiligen Positionen zu optimieren, gehen die proisraelische Lobby, die neokonservative Rechte und die evangelikalen Fundis häufige Bündnisse ein, die institutionell von Medien und Thinktanks in ihrem Einflussbereich gestützt werden. Die proisraelische Lobby und die Neocons – zwischen denen es personelle Überschneidungen gibt – immunisieren sich bisweilen gegen Kritik, indem sie den Antisemitismusvorwurf instrumentalisieren.

So weit, so richtig. Doch die Rede von der „Israel Lobby“ geht über die Benennung und Analyse solcher Sachverhalte hinaus. Schon das Wort „Israel Lobby“ hat, im Unterschied zur Rede von der „Rentnerlobby“, der „irischen Lobby“ oder auch der „Chemielobby“, einen verschwörungstheoretischen Beiklang. Und es ist nicht nur eine Verschwörungstheorie unter anderen (auch Hinweise auf das Treiben der „Öllobby“ haben ja solche Subtexte). Nein, die Rede von der „Israel Lobby“ spielt natürlich auf die Mutter aller Verschwörungstheorien an: auf die des kosmopolitischen Juden, der, wo immer er sich befindet, alles tut, dass die Juden herrschen und die armen Nichtjuden unterdrückt oder ausgebeutet werden.

Das ist das Paradoxon am Konzept von der „American Jewish lobby“: Es gibt sie – aber man kann kaum von ihr reden, ohne ins Fahrwasser des Antisemitismus zu geraten. Da tun sich schon subtilere Denker als die Autoren des nunmehr skandalisierten „Working Papers“ schwer.

Die lassen freilich keine Peinlichkeit aus. So schreiben sie, die „Israel Lobby“ sei dafür verantwortlich, dass die US-Außenpolitik „die Interessen eines anderen Staates“ über die eigenen Sicherheitsinteressen stellt – man kennt das Klischee vom vaterlandslosen Juden. Und wenn es heißt, Israel „verhält sich nicht wie ein loyaler Alliierter“, dann erinnert das ein wenig an den verräterischen Juden.

Das Hauptproblem an der jargonhaften Rede von der „Israel Lobby“ ist freilich, dass sie alles über ein Axiom schert, im Grunde auf eine monokausale Erklärung für alles und jedes hinausläuft. Der Irakkrieg – „wesentlich ein Resultat des Einflusses der Lobby“. Die Neocons – „viele mit engen Verbindungen zur israelischen Likud-Partei“. Der irakische Neocon Ahmed Chalabi und der afghanischstämmige Neocon Zalmay Khalilzad – alle Teil der „Israel Lobby“. Sogar für den Aufstieg der christlichen Rechten ist so gesehen irgendwie die jüdisch-israelische Lobby verantwortlich. Gewiss ist der Einfluss proisraelischer Verbände auf die US-Politik groß. Aber er ist weder der einzige noch der wesentliche Grund für eine bestimmte – in diesem Fall: schlechte – Politik. Er ist nur eine simple Erklärung und hat deshalb eine gewisse Anziehungskraft für alle jene, denen kompliziertere Erklärungen zu mühsam sind.

Tatsächlich ist es aber in diesem wie in vielen anderen Fällen auch so, dass eine schlechte Politik Resultat verschiedener Einflüsse ist – darunter böser und auch gut gemeinter Einflüsse. Allein für die gegenwärtige US- Nahostpolitik ließen sich nennen: das Ziel, die Ölreserven zu kontrollieren; die Einsicht, dass die Orientierung auf die Erhaltung des prekären Status quo nur dazu geführt hat, dass den USA der Hass der islamischen Welt entgegenschlägt; die tatsächliche Überzeugung, dass der Export der Demokratie (auch mit Waffengewalt) in mittlerer Frist Stabilität und Prosperität auch für die arabischen Länder bringt; Loyalität zum Alliierten Israel.

Konservative Juden fühlen sich durch den Neokonservatismus in den USA erstmals politisch vertreten

Es ist gewiss nicht ganz falsch, dass sich all das mit „jüdischen Motivationen“ vermischt. Jüdische Amerikaner haben, genauso wie jüdische Deutsche oder jüdische Briten, in der Regel ein emotionales Näheverhältnis zu Israel und interessieren sich deshalb für die Politik im Nahen Osten. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein jüdischer Amerikaner deshalb die nahöstlichen Probleme zum Thema seiner beruflichen (etwa akademischen) Tätigkeit macht, ist deshalb größer, als dass das beispielsweise ein Nachfahre indianischer Ureinwohner tut. Auch für die relativ starke Repräsentanz von Juden in den Rängen der Neocons gibt es eine recht simple Erklärung: Bis in die Sechzigerjahre konnten sich Amerikas Juden im Grunde nur auf der Linken engagieren. Die Rechte war christlich bigott (und in außenpolitischen Fragen zudem meist isolationistisch). Aber natürlich gibt es auch konservative Juden. Für die war der Neokonservatismus – als säkularer Strang der US-Rechten – die erste Möglichkeit, sich als Konservative politisch repräsentiert zu fühlen.

All dies soll man sagen dürfen, all dies muss man sogar sagen dürfen, ohne sofort unter Antisemitismusverdacht gestellt zu werden. Man darf dabei auch von der „Israel Lobby“ reden. Aber es kommt schon sehr darauf an, wie man das tut, und vor allem: was genau man damit sagen will.

ROBERT MISIK