Putzige Installationen

Freuds Biografie auf einer Riesentorte mit Püppchen erzählt, in Kulissen aus Zuckerguss: PSYCHOanalyse, zu Sigmund Freuds 150. Geburtstag vom Jüdischen Museum Berlin ausgerichtet, zeigt sich als Ausstellung ohne Ausgestelltes, in der das Regietheater die Macht über Texte und Objekte ergreift

Keine Objekte von eigenem Gewicht, sondern Billigware aus dem Kaufhof und von OBI, wie uns das Katalogbuch verrät

von MICHAEL RUTSCHKY

Also, ich weiß nicht. Das Tortenmonument, das vermutlich als legendär in die Ausstellungsgeschichte eingehen soll, steht gleich am Eingang, vier Meter im Durchmesser, auf 24 Tortenstücken Freuds Leben erzählend in grob geschneiderten und plump gestopften Püppchen, die zwischen Zuckergusskulissen drapiert sind: die berühmte Eisenbahnfahrt, bei der das Kind matrem nudam geschaut hat, der Studienaufenthalt bei Charcot in Paris, der Tod des Vaters und die Selbstanalyse – bis zur ersten Krebsoperation 1923, dem 80. Geburtstag, der Exilierung, der Urne in Golders Green. Die einzelnen Stationen sind in Konditorschrift auf weißen Täfelchen vermerkt, und von oben erzählen Radiostimmen die Episoden, technisch leicht gestört – das Pressematerial spricht von „Hörspielen“ – , was vermutlich verkrustete Rezeptionsstrukturen aufbrechen soll.

Man lernt daraus, dass Freuds Biografie sich auch auf einer Riesentorte mit Primitivpüppchen erzählen lässt, in Kulissen aus Zuckerguss. Hm; man nimmt die Präsentation artig zur Kenntnis. Rechts davon läuft in der Wand auf einem Fernsehschirm Amateurmaterial über den 80. Geburtstag, eine Gartenszene, Freunde und die Familie, die Hunde; der magere alte Herr, seine Tochter Anna stützt ihn im Rücken, aber er scheint vergnügt und gut gelaunt – die schwärzliche Verfärbung der rechten Wange geht auf die neuerliche Bestrahlung der Krebsgeschwulst zurück, die sich drei Jahre später nach außen fressen und den Hund durch ihren Gestank abschrecken wird, was Freud als Aufforderung versteht, die Angelegenheit abzuschließen. Dr. Schur gibt ihm das Morphium (und K. muss an diesem Punkt der Geschichte immer weinen).

Verglichen mit der kunstvollen Torte ist der kurze, dilettantische, als Endlosschleife abgespielte Film ein Stück ausgestellte Wirklichkeit, wie es der Ausstellungsbesucher erwartet – aber das soll er besser lassen. Er soll sich darauf einstellen, dass im Unbewussten alles durch alles repräsentiert werden kann, wie es der berühmte Witz erzählt: Wussten Sie schon, dass auf Platz 1 der Phallussymbole inzwischen der Kugelschreiber steht, gefolgt von der Zigarre und dem Penis? Es genügen assoziative Verknüpfungen, „Geburtstag“ evoziert „Torte“ – wie kommen wir aber zu den plump geschneiderten Püppchen? Weil Kinder mit ihnen spielen könnten und Freuds Lehre zentral von der Kindheit handelt? Na bitte, es geht doch.

In diesem Sinn soll die Ausstellung insgesamt funktionieren, die Psychoanalyse als intellektuelles Lehrgebäude repräsentieren sowie das Unbewusste, ihre zentrale Kategorie, als ein unendliches Spiel von Verweisungen; wenn irgendwo die Verbindung von Signifikant und Signifikat eine zufällige ist, dann hier (und der Katalog lacanisiert das alles sauber durch; in den Kulturwissenschaften gilt der geniale Scharlatan nun mal als unfehlbarer Nachfolger des Professors).

Viel Ausstellung, können Sie wieder mal seufzen, und wenig Ausgestelltes. Es fehlen Exponate. Hinter der Torte beginnt ein Wald von Leuchtkästen von der Decke herab zu hängen, die in Großbuchstaben Schlüsselworte der Psychoanalyse verkünden, PHOBIE und VATER und FETISCH und so weiter; darunter ein labyrinthisches Thekensystem, das diese Begriffe mit Freuds großen Krankengeschichten verknüpfen soll, Anna O. und Dora, der kleine Hans und Schreber, der Rattenmann und der Wolfsmann.

Hier gibt es wiederum Püppchen, und es scheint auch Exponate zu geben, die Ratten des Ratten-, die Wölfe des Wolfsmanns. Eine Plastikkugel enthält als dünne Metallstreben die Strahlen, von denen der Richter Daniel Paul Schreber sich durchbohrt fühlte, während Gott ihn in eine Frau zu verwandeln versuchte. Keine Objekte von eigenem Gewicht, sondern Billigware aus dem Kaufhof und von OBI, wie uns das Katalogbuch verrät, und einzig bedeutsam aufgrund der unbewussten Fantasien, die Schreber oder Dora oder der kleine Hans mit den Originalen verknüpften. Dazu Zitate aus Freuds einschlägigen Schriften: eine Art begehbares Buch, dessen durchlaufenden Text der Besucher selbst hervorbringen muss.

Ich bezweifle, dass einer das tut. Wer sich in der Psychoanalyse auskennt, weiß, was es mit der Pferdephobie des kleinen Hans und den Wölfen im Baum, die ruhig starren, auf sich hatte. Für den Novizen sind die Geschichten viel zu kompliziert; er müsste sie und ihren theoretischen Sinn ja schon kennen, um die Ausstellung aus Leuchtkästen, Freud-Zitaten und OBI-Schurrmurr plausibel zusammensetzen zu können.

Die Ausstellung möchte öffentlich veranschaulichen, wie das Unbewusste seine Bedeutungszusammenhänge stiftet. Hier steckt ein schweres Problem. Das Unbewusste funktioniert nach dem Prinzip der „Jemeinigkeit“, um mal Heidegger zu bemühen; oder ein Prunkzitat von Heraklit (um 500 v. Chr.): „Die Wachenden haben eine einzige und gemeinsame Welt, doch im Schlummer wendet sich jeder von dieser ab in seine eigene.“ Das Unbewusste ist extrem individualisiert, der Kern eines jeden Ichs, wie Freud lehrte; das Pferd, das den kleinen Hans furchtbar ängstigt, sehen Sie als besonders vertrauenerweckendes Tier. Mithilfe meines Analytikers kann ich herausfinden, weshalb mich Braunkohlenrauch in einen Zustand sehnsüchtiger Trauer versetzt – Sie hingegen erinnert er sofort an die armselige und schmutzige DDR. In einem Roman von Anthony Burgess belauscht James Joyce das Gespräch, das Freud und C. G. Jung in einem Zürcher Café über das Unbewusste führen, und sagt triumphierend zu sich selbst: „Euch werd ich eines Tages zeigen, wie das Unbewusste wirklich ausschaut!“ Burgess hat Joyces Buch „Finnegans Wake“ vor Augen, das so viele Lesarten erfordert, dass es unlesbar geworden ist.

Eine weitere Abteilung der Ausstellung widmet sich dem psychoanalytischen Setting, der Couch und dem Sessel dahinter (im Katalogbuch lacanisiert Karl-Josef Pazzini ausgiebig herum, weshalb der Wunsch, Freuds Couch in natura zu sehen, enttäuscht werden muss, damit man Freuds Couch wahrhaft sehe – o. s. ä.): Hier stößt der Besucher, der brav aber interesselos durch das Labyrinth der Krankengeschichten gewandert war, wiederum auf etwas, das seinen Wunsch nach Exponaten befriedigt. Die Ausstellungsmacher haben die knapp 900 Psychotherapeuten Berlins gebeten, ihre Couch zu fotografieren; 140 sind der Bitte nachgekommen, und der Besucher kann einen langen Fries abwandern, der Couch an Couch reiht und Fantasien über den Kunstgeschmack dieses Gewerbes anregt (den Adorno für abscheulich hielt). Hinzu kommen Ansichten, die der Analysand hat, wenn er auf der einen oder anderen Couch liegt, ein Fenster mit Himmel, ein Stück Bücherwand. Gewiss wird hier manchen Besucher die Neugier treiben, ob die Couch, auf der er eben zu liegen pflegt, in dem Fries zu finden ist – auch hier fließt das Wünschen nicht frei und gleichmütig von Signifikant zu Signifikant, vielmehr kommt es zu lebhaften Aufmerksamkeitserlebnissen. Die dem nächsten Betrachter komplett abgehen.

Derselbe Raum beherbergt eine Videoinstallation, die Filmszenen aneinander montiert. Sie alle sagen unisono, dass das Kino die psychoanalytische Situation nicht angemessen darzustellen vermag. Kein Grund also, die einzelnen Szenen genauer zu studieren. Darüber hinaus gibt es interessantere Auskünfte: In der TV-Serie „Die Sopranos“ geht Tony, der Mafiaboss, wegen schwerer Depressionen regelmäßig zu Doktor Melfi, und es kommt tatsächlich zu so etwas wie einem analytischen Prozess – freilich liegt Tony nicht auf der Couch; die Kamera kann mit Rücksicht auf Darstellbarkeit aus zweien, die sich gegenübersitzen, einfach mehr machen. Es gibt noch eine zweite Fernsehserie, namens „Huff“ (mit einem Psychotherapeuten als Hauptfigur), in der Hollywood demonstriert, dass es über die gewohnten Albernheiten inzwischen weit hinaus ist.

Also, ich weiß nicht. Ich fürchte, dass Ausstellungen ohne Exponate, die dagegen installativ verfahren, dem Besucher so viel Befriedigung schenken wie, um einen berühmten Vergleich von Freud zu bemühen, Speisekarten zu Zeiten einer Hungersnot den Hungernden. Kulturkritiker können anlässlich dieser Ausstellung im Jüdischen Museum darüber räsonnieren, wie die Prinzipien der Kuratorenkunst und des Regietheaters inzwischen auf kulturgeschichtliche Gegenstände appliziert werden: Der Kurator respektive der Regisseur, die man für Vermittler gehalten hatte, ergreifen die absolute Macht über Texte und Objekte und Ereignisse.

Mir fiel auf, dass der Besucher, vom endlosen Gleiten der Signifikanten im Spiegelstadium (o. s. ä.) wenig gefesselt, sich an das hält in einer solchen Ausstellung, was Exponaten immerhin nahe kommt: der Amateurfilm von Freuds 80. Geburtstag, die Amateurfotografien von Berliner Couchen der Gegenwart. Ein drittes Exponat lehrt, dass es sich dabei sogar um Zahlen und Schriftzeichen handeln kann: Eine Tafel von 18 Metern Länge bildet den Stammbaum der Familie ab, in die Sigmund Freud eingebettet war, von seinen Großeltern an aufwärts bis in die Gegenwart. Ein ganzes Dorf, dessen Bewohner die Zeiten und den Planeten besiedeln, ein ungeheures Myzel, dessen Lebenskraft der Besucher ebenso bewundert wie die Arbeit, die es gekostet hat, den Stammbaum in dieser Ausführlichkeit nachzuzeichnen.

Bis 27. August, Katalog (Nicolai Verlag) 24,90 €