Wagners Gesamtkondom

Premiere an der Berliner Staatsoper: Stefan Bachmann inszeniert Richard Wagners „Tristan und Isolde“ in einem Bühnenbild von Herzog und de Meuron. Am Pult brilliert Daniel Barenboim

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Der Schweizer Stefan Bachmann ist zurück in Berlin, wo seine Karriere in der freien Theaterszene begann. Er hat mit seinen Inszenierungen der letzten Jahre die Theaterkritiker im ganzen deutschen Sprachraum derart nachhaltig begeistert, dass die Erwartung begründet war, einen ganz und gar ungewöhnlichen, womöglich sensationellen Tristan unter seiner Regie zu erleben. Hinzu kam die weitere Sensation, dass die (ebenfalls schweizerischen) Architekten Herzog und de Meuron das Bühnenbild entwerfen wollten. Man dachte an die Allianz-Arena in München, und natürlich war die Premiere ausverkauft. Aber so richtig glücklich ging am Ende niemand nach Hause. Zu sehen gab es den neuen, aufregenden Wagner nicht – zu hören allerdings schon, wenn auch vielleicht nicht als schnell vermarktbares Event, wohl aber Ergebnis einer nun wirklich nachhaltigen, leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit dieser Musik. Daniel Barenboim hat „Tristan und Isolde“ schon mit Heiner Müller (1993 in Bayreuth) und Harry Kupfer (2000 in Berlin) als Regisseuren aufgeführt, und was das Schweizer Trio ihm diesmal auf die Bühne stellt, hat ihn wahrscheinlich nicht weiter beeindruckt. Es wirkt neben der Wucht seiner Interpretation wie Kinderspielzeug.

Endlos viel ist über die mythische Vereinigung von Todes- und Liebessehnsucht geschrieben worden, die Wagner in diesem Werk gestaltet habe. Aber das betrifft nur den Text, in der Musik raunt nichts Jenseitiges, es ist alles offen, und es ist purer Sex, man muss es nur so hemmungslos herausspielen, wie Barenboim das wagt. Eine beinahe mediterranes, leichtes und spielerisches Licht leuchtet dann aus dem Orchester, das mehr als in anderen Opern Wagners eine Hauptrolle spielt. Es gibt den Sängern die musikalischen Stichworte vor, die sie zurückgeben, weiterspinnen, und nie zur Ruhe kommen, immer neue Echos erzeugen, weil die Lust am Klang unendlich ist und immer neue Reize entdecken kann. Darin gleicht diese Musik tatsächlich dem körperlichen Liebesakt, und Barenboims Größe liegt eben darin, genau das hören zu lassen und nichts anderes. Das Staatsorchester folgt ihm geradezu fröhlich auf diesem Weg hinaus aus den trüben Untiefen des Wagnerklangs und spielt mit manchmal kammermusikalischer Dichte jede Faser der Partitur aus. Fast schwerelos lässt sich das Ensemble mittragen, selbst in Extremlagen fließen die Stimmen zwanglos ein in diese große Symphonie der unverhüllten sexuellen Lust. Es fällt schwer, die Lorbeeren gerecht zu verteilen: Dass René Pape ein überragender König Marke ist, versteht sich fast schon von selbst: Weder Zorn noch spätere Milde liegen in seiner wunderbaren Stimme, sondern nur die fast schon lächelnde Einsicht in die Macht des Geschlechts, die er selbst besser zu kennen scheint als das Paar, das ihn da gerade betrügt. Aber auch Katarina Dalayman und Peter Seiffert – beide zum ersten Mal in den Rollen der Isolde und des Tristan – singen makellos, dasselbe gilt für Michelle DeYoungs Brangäne und Roman Trekels Kurvenal.

Schade nur, dass dieser Geist innerer Freiheit, der nötig ist, dieser auch heute noch schockierenden Musik ihren eigenen Raum zu geben, auf der Bühne so wenig zu sehen ist. Herzog und de Meuron hatten die gewiss originelle, aber nicht nachahmenswerte Idee, Wagners Tristan in eine Art Gesamtkondom zu stecken. Die Szene ist eingeschlossen in eine dehnbare, nach hinten gewölbte Plastikfolie, die meistens weiß ausgeleuchtet und gelegentlich von allerlei dahinter stehenden Objekten eingedellt wird. Schiffstaue zeichnen sich im ersten Akt ab, Torbögen und eine Treppe im zweiten, das Ende erinnert an eine von Wunden und Pickeln verletzte Haut und weckt dann tatsächlich sexuelle Assoziationen mit dem tödlich verwundeten Tristan, der davor einsam fantasiert, öfter aber erinnert das Bild eher an die Plastikkuhlen, in die gerne Elektrogeräte verpackt werden. Der optische Reiz der zu einem schmalen Guckloch verengten Bühne jedenfalls ist bald verbraucht, die sterile Kunsthaut ist ein Designereinfall, weiter nichts, irgendwelche dramatischen Konsequenzen hat sie nicht.

Das allerdings liegt vielleicht auch an Stefan Bachmann. Je länger sich Barenboim seinem Wagner hingibt, desto rätselhafter wird das strikte Berührungsverbot, dass die Regie den Akteuren der Orgie auferlegt. Steif und hölzern wie in einem Puppenspiel betreten sie die Bühnenröhre, singen ihren Text, schreiten zur Seite von dannen. Feierlich bis zur unfreiwilligen Komik. Es geschieht weiter nichts, sodass die Augen (die Ohren sind beschäftigt) viel Zeit haben, die Kostüme zu studieren. Ein mit Pop-Science-Fiction versetztes Mittelalter scheint das zu sein, eine Zeit jedenfalls, in die man nicht einmal in der Ohnmacht eines Orgasmus versetzt werden möchte, so unbequem und hässlich sehen sie aus.

Das stört eine Weile, und stört am Ende dann doch nicht mehr. Es ist eben immer noch so, dass der Sex nicht gezeigt werden kann. Er muss verdrängt werden, und diesen Job haben Bachmann und die beiden Architekten ziemlich gut erledigt. Wie bei Freud, der ja auch gerade gefeiert werden muss, ist oben die Zensur, unten der Trieb.