Die Gemeinde versammelte sich

Die gefährliche Stimme des besseren Amerika: Joan Baez im Berliner Tempodrom. Mit 65 Jahren attraktiv ergraut, interpretierte sie, nein, zerstörte sie in alter Frische die besten Songs ihrer toten wie auch lebenden Kollegen

Joan Baez, die singende Ikone der Friedensbewegung, ist für sieben Konzerte nach Deutschland gekommen und überall mussten die Konzerte wegen des enormen Andrangs in größere Hallen verlegt werden. An ihrer neuen CD „Bowery Songs“ kann es nicht liegen; es liegt wohl an der Stimmung in Deutschland, an einer bürgersatten Sehnsucht nach dem „besseren“, friedensbewegten Amerika. Und Joan Baez singt nun mal seit 40 Jahren gegen Krieg, Gewalt, Rassismus, Diktatur, Unrecht an sich, Menschenrechtsverletzungen, Landminen, Vertreibung und Hunger. Eigentlich hatte sie sich aus dem Showgeschäft zurückziehen wollen, aber die politische Lage in den USA ließ das nicht zu.

Und so steht sie am Samstagabend, mit 65 Jahren attraktiv ergraut und in alter Frische, auf der Bühne des ausverkauften Tempodroms. Wer seine Lagerfeuerjahre bereits in den 70ern erlebte, erinnert sich, dass junge Leute mit Geschmack damals schon die Joan-Baez-Seiten in den Liederbüchern schnell überblätterten, „Donna, Donna“ und „Joe Hill“ ausließen, um bei Dylan und Degenhardt zu bleiben.

Eigentlich tritt Joan Baez seitdem künstlerisch auf der Stelle, sie ist eher als Interpretin von Traditionals und Folksongs denn als Songwriterin bekannt. Dabei musste die Sängerin immer schon bei jeder Note zeigen, was sie alles kann: Salbungsvoll singt sie alle Silben aus, lässt die Stimme zum Refrain hin gerne unheilvoll anschwellen, wechselt in hohe Kopflagen. So interpretiert sie auch am Samstag bekannte Songs ihrer toten und lebenden Kollegen, und natürlich hätte man Johnny Cash, John Lennon und Leonard Cohen lieber im Original gehört. Das Schlimme an Joan Baez ist nämlich nicht ihre Stimme, nicht ihre Körpersprache einer evangelischen Theologin, das Schlimme ist, dass sie durch ihre Interpretation jeden noch so großartigen Song weichspült, ihm Schärfe und Substanz nimmt und ihn zerstört.

Das zynische, gefährliche „God on our Side“ von Bob Dylan wird zum flügellahmen Polit-Wohlfühlsong, „Stand by me“ zur Schmuseballade und „Suzanne“ verkitscht ihr gefürchtetes Sopranvibrato. Joan Baez ist sehr sympathisch und bestimmt ein guter Mensch – und trotzdem wird einem an diesem Abend klar, warum man in den Spätsiebzigern angefangen hat, die Hippies zu hassen. All die guten, amerikamüden Menschen im Tempodrom beklatschen wohlwollend jede noch so kleine Anti-Bush-Anspielung der Sängerin, man ist hier unter sich und auf eine selbstgerechte Art so ganz einverstanden-uneinverstanden mit der bösen Welt draußen.

Langsam und bedächtig spricht die Politbardin mit dem Publikum wie mit einem Kind. „A long time ago“ sagt sie, wenn sie die Lieder ansagt, Woodstock ist sogar „one million years ago“. In „Diamonds and Rust“, einem Song über ihre schwierige Beziehung zu Bob Dylan, heißt es „You said my poetry was lousy“ – nun, Bob Dylan lag nicht immer falsch. Denn ihre Songs beschwören Woody Guthrie, er möge aus dem Himmel zurück, nach Washington, DC, kommen und George Bush erleuchten, oder sie handeln von gelben Vögeln vor deutschen Hotelzimmerfenstern, die die Sängerin wiederum an all die sinnlosen Kriege vom World War I bis Irak II gemahnen.

Die Zugabe muss natürlich a cappella gegeben werden. „Sag mir, wo die Blumen sind“ intoniert sie weihevoll auf Deutsch und die Gläubigen summen andächtig mit. Man will und will sie nicht gehen lassen, wieder und wieder wird sie herbeigeklatscht und hebt dann gar zum Kinder-Song von Bettina Wegner an: „Sind so kleine Hände“. An dieser Stelle muss die Berichterstattung aus dem Tempodrom leider abgebrochen werden: Es war nicht mehr auszuhalten.

CHRISTIANE RÖSINGER