Ganz oder gar nicht

Der SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck ist Geschichte. Er ist an seinem Ehrgeiz gescheitert und an der SPD, die ihn verheizt hat

Zum Hoffnungsträger hatten die Sozialdemokraten Platzeck erkoren. Dabei war das von Anfang an ein Missverständnis

VON CHRISTOPH SEILS

Vilshofen gehört zum Pflichtprogramm für jeden SPD-Vorsitzenden. Es ist Aschermittwoch und am politischen Aschermittwoch erwarten Parteifreunde von diesem zünftige Worte sowie Häme für die politische Konkurrenz. Es ist für den SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck der erste Auftritt in Bayern. Also macht er sich artig über den berlinflüchtigen bayerischen Landesvater Stoiber lustig, und er vergleicht Unternehmer mit Schlachtermeistern.

Platzeck lässt das Mineralwasser zurückgehen und verlangt nach einem bayerischen Bier. Im Grunde hält er eine ordentliche Wahlkampfrede, mehr aber auch nicht. Das Bierzelt liegt ihm nicht. Die bayerischen Parteifreunde sind dennoch zufrieden, sie haben von dem bekennenden Preußen Drögeres befürchtet.

Wie üblich will Matthias Platzeck nach der Rede noch mit den Landesfürsten plaudern. Und plötzlich ist Platzeck nicht mehr der Parteivorsitzende, der die Richtung vorgibt, sondern er ist ein Lehrling. Platzeck fragt nach den Gründen für die Schwäche der bayerischen SPD und er will wissen, warum sich der populäre Münchener Oberbürgermeister Christian Ude nicht in der Landespolitik engagiert. Vermutlich könnten der Landeschef Franz Maget und Bundestagsvize Ludwig Stiegler viel erzählen, über die traditionell zerstrittene Münchener SPD, über ideologische Grabenkämpfe und über politische Intrigen. Aber sie verzichten auf eine sozialdemokratische Geschichtsstunde, deuten die Abgründe der 70er- und 80er-Jahre nur an und empfehlen Matthias Platzeck die Lebenserinnerungen von Peter Glotz, dem ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführer und sozialdemokratischen Vordenker. Platzeck hört gespannt zu und es ist nicht zu übersehen, der ostdeutsche Vorsitzende kennt seine Partei noch nicht, für ihn sind die westdeutschen Niederungen der Sozialdemokratie Terra incognita.

Platzeck wird jetzt Zeit haben, die Lebenserinnerungen von Peter Glotz zu lesen. Der Vorsitzende Platzeck ist Vergangenheit. Er wird wohl lediglich als Missverständnis in die SPD-Geschichte eingehen. Dabei ist es erst fünf Monate her, das stand ein jubelnder Matthias Platzeck auf der Bühne der Karlsruher Messehalle und sang die Genossenhymne „Wenn wir schreiten Seit’ an Seit’“.

Auf das rekordverdächtige Wahlergebnis folgte eine rekordverdächtig kurze Amtszeit. Es spricht weniger gegen Platzeck als gegen die SPD, dass die Episode so enden musste. Platzeck hat die Herausforderung wohl überschätzt, aber vor allem hat die Partei hat ihn verheizt.

Zum Hoffnungsträger hatten die Sozialdemokraten Platzeck erkoren. Dabei war das von Anfang an ein Missverständnis. Nach einem turbulenten Jahr 2005 suchen die Sozialdemokraten auf ihrem Karlsruher Parteitag nicht Hoffnung, sondern Halt, nicht Visionen, sondern Orientierung. Mehr staunend als euphorisch scharten sie sich hinter Matthias Platzeck, mehr ängstlich als hoffnungsfroh. Man kann auch sagen, Matthias Platzeck stand eben zur Verfügung, als die SPD völlig überraschend einen neuen Vorsitzenden brauchte. Er war der Einzige in der gebeutelten Sozialdemokratie, der in den letzten Jahren eine Landtagswahl gewonnen hatte, der gekämpft und auch gewonnen hatte, wenn auch denkbar knapp.

Die SPD wollte in Karlsruhe an ihren neuen Vorsitzenden glauben. Es war den Sozialdemokraten im Jahr 2005 ja auch einiges zugemutet worden. Das Generationenprojekt Rot-Grün wurde vorzeitig beendet, in der großen Koalition ist die SPD nur noch der Juniorpartner. Die Partei war daran nicht unschuldig. Bundeskanzler Gerhard Schröder war mit seinem als kalt empfundenen Modernisierungskurs nicht nur am Wähler, sondern auch an seiner Partei gescheitert. Müntefering stolperte als Parteivorsitzender über den überbordenden Ehrgeiz des Nachwuchses. Zwischen Tradition und Modernisierung drohte die SPD zerschlissen zu werden.

Alles sollte Matthias Platzeck nun richten. Dabei hatte er noch gar kein neues politisches Projekt formuliert. Erst nach dem Parteitag merkten die Sozialdemokraten, dass sie die neue Zeit mit einem Vorsitzenden beginnen, den sie kaum kennen. Erst als die Delegierten wieder daheim waren und wieder nüchtern, da begannen sie Fragen zu stellen. Was verbirgt sich hinter dem freundlichen Wesen von Matthias Platzeck? Welche Politik verkörpert er und welche Grundüberzeugungen treiben ihn an? Wer ist Platzeck? Wie macht Platzeck Politik? Kennt er die Partei genug, um die Partei zu führen? Zugespitzt endeten alle Gedanken in der Frage: Kann der das?

Matthias Platzeck ist kein klassischer Sozialdemokrat. Er hat die ersten 35 Jahre seines Lebens, in einer „vollkommen anders organisierten Gesellschaftsordnung“ verbracht. Er hat als einer der Köpfe der DDR-Umweltbewegung einen aktiven Beitrag zur friedlichen Revolution in der DDR geleistet und stand nach der Wiedervereinigung den Grünen näher als den Roten. Als er 1995 in die SPD eintritt, ist dies zwar keine Überraschung mehr, aber Matthias Platzeck hat vorher sechs Jahre mit sich gerungen.

Nicht innere Überzeugung, sondern vor allem machtpragmatische Argumente gaben schließlich den Ausschlag. 1995 ist Platzeck schon seit über einem Jahr parteiloser Umweltminister und braucht eine politische Hausmacht. Brandenburgs Sozialdemokraten beäugen den Neuling mit Skepsis. Als dieser ein Jahr später für den Landesvorstand kandidiert, lassen ihn seine neuen Parteifreunde durchfallen. Platzeck und die SPD: Liebe auf den ersten Blick war das nicht.

Platzeck erarbeitet sich die SPD, er hat Glück und Fortune und er hat in Brandenburg keine wirkliche Konkurrenz. Er kann Menschen überzeugen und mitreißen, er hat politisches Talent. Er wird Deichgraf, Oberbürgermeister, Landesvorsitzender und Ministerpräsident. Er wird von seinen Parteifreunden in Brandenburg verehrt, von seinen Wählern geliebt, von der politischen Konkurrenz geachtet. In Potsdam geht es beschaulich zu, es gibt in der Brandenburger SPD keine Flügel, keine ideologischen Grabenkämpfe, niemanden, der an seinem Stuhl sägt, die Medien sind brav. Da konnte er schon mal eine unausgegorene Idee in den Raum stellen und diese ein paar Tage später ohne Gesichtsverlust wieder einkassieren. In Brandenburg konnte sich Platzeck alles erlauben, auch politische Fehler.

Berlin ist ein völlig anderes politisches Terrain. Platzeck macht Fehler, aber nicht einmal hundert Tage warten seine Kritiker, um über ihn herzufallen. Ätzend ist die Kritik, unfair, sie kommt von manchen Parteifreunden anonym aus dem Hinterhalt. Platzeck spürt das Misstrauen, er spürt die Fragen und er spürt die Verunsicherung und er ist verunsichert, Kritik an seiner Person nimmt er persönlich.

Platzeck steht schnell unter Druck und versucht sich mit denselben Rezepten wie in Brandenburg zu behaupten, mit Dauerpräsenz. In den Wahlkämpfen des Frühjahrs absolviert er ein Mammut-Programm. Und er verliert dabei seine Leichtigkeit. Platzeck wollte nicht mit Basta regieren, wie seine Vorgänger Schröder und Müntefering. Er wollte die Partei wieder diskursfähig machen, doch hatte er noch gar keine Zeit gehabt, seine Diskurse zu entwickeln.

Zu spät hat Platzeck wohl erkannt, die Brandenburger Rezepte funktionieren nicht, die politischen Erfahrungen Ostdeutschlands lassen sich nicht auf den Bund übertragen, sein außergewöhnliches politisches Talent bräuchte Zeit, sich zu entfalten, und Platzeck bräuchte Zeit, um zu verstehen, wie Politik in der Hauptstadt funktioniert. Zudem gibt es in Ost und West auch eineinhalb Jahrzehnte nach der Vereinigung noch eine unterschiedliche politische Kommunikation, andere Machtsymbole und verschiedene Politikstile. Selbst die SPD ist im Osten eine andere – sie ist pragmatisch und ideologiefrei, sie wird von konsensorientierten Naturwissenschaftlern dominiert und nicht von streitgestählten Exjusos.

Und anders als Angela Merkel hat Platzeck keine Zeit, sich in Berlin zu akklimatisieren. Er musste sofort volles Tempo gehen, den Koalitionsvertrag verhandeln, die eigenen Partei zusammenhalten und wahlkämpfen. Das ging an die Substanz, politisch und gesundheitlich. Die Partei hat ihm weder Zeit gegeben, sich einzuarbeiten, noch eine Schonfrist gewährt. Nach Ostern wollte Platzeck damit beginnen, über ein neues Grundsatzprogramm zu diskutieren, jetzt sind die Thesen über den vorsorgenden Sozialstaat, die er am Wochenende vorgelegt hat, sein politisches Vermächtnis.

Kein Zweifel, Platzeck wollte SPD-Vorsitzender werden, diesen Ehrgeiz hatte er, auch wenn er dies öffentlich immer geleugnet hat. Aber sein Zweitplan war ein anderer. 2007 wollte er Müntefering nachfolgen und sich bis dahin auf bundespolitisches Terrain vorarbeiten. Stattdessen musste er im November kalt durchstarten.

Es gibt von langjährigen Mitstreitern den bösen Satz: „Wenn es politisch ernst wird, dann wird Matthias krank.“ In Potsdam wusste das jeder. Matthias Platzeck brauchte seinen Auszeiten, das war schon so, als er noch für die Grünen in der ersten freigewählten Volkskammer saß. Auch als Umweltminister und als Ministerpräsident fiel er immer mal wieder für ein paar Tage aus, kurierte sich aus, kam dann wieder frischen Mutes zurück und stürzte sich wieder in die politische Arbeit, ohne sich zu schonen. Die Bundespolitik gewährte ihm solche Auszeiten nicht.

CHRISTOPH SEILS ist freier Journalist, lebt in Berlin und schrieb seit vier Monaten an einer Biografie über Matthias Platzeck. Gestern um 9.01 Uhr hat er die Arbeit daran eingestellt.