„Vom Bundestag bekam ich Albträume“

Die Spitzenkandidatin der Grünen, Franziska Eichstätt-Bohlig, war zu Besuch bei TV Real im taz-Café. Jenseits des Wahlkampfs sprach sie über den Spaß an der Macht, den alten Traum von der Weltrevolution und das erhoffte Nichts nach dem Tod

PROTOKOLL MATTHIAS LOHRE

Früher schärfte Franziska Eichstädt-Bohlig ihren Grünen-Parteifreunden ein: „Wir müssen unterscheidbar sein.“ Jeder Kandidat sollte deshalb im Wahlkampf mindestens ein grünes Kleidungsstück tragen. Davon geblieben ist an diesem März-Abend im taz-Café ein grüner Armreif an Eichstädt-Bohligs linker Hand. Die Spitzenkandidatin ihrer Partei ist gekommen, um bei TV Real eine Stunde lang Antworten auf unangenehme Fragen zu geben. Gesprächspartner Peter Kees ist dafür bekannt, seinem Gegenüber bei den „Ersatzfernsehen“ genannten Gesprächen verbal und physisch auf die Pelle zu rücken. Eichstädt-Bohlig scheint es zu ahnen. Ihr linkes Bein hat sie über das rechte geschlagen, der rechte Arm liegt quer über dem Bauch. Typische Abwehrhaltung. Doch ihre Debattierlust kommt immer wieder durch: Zwischendurch, wenn Eichstädt-Bohlig nach ihrem Wasserglas greifen will, kommt sie nicht dazu, weil sie schnell auf Kees’ Fragen antworten will – und ihre Hände zum Gestikulieren braucht. Ihr Kampf ums Wasser hat begonnen.

Peter Kees: TV Real ist Fernsehen ohne Fernsehen. Ich will versuchen, mein Gegenüber zu porträtieren. Frau Eichstädt-Bohlig, wovon haben Sie letzte Nacht geträumt?

Franziska Eichstädt-Bohlig: Ich habe so wunderbar geschlafen, dass ich meine Träume schlicht verschlafen habe.

An welche Träume können Sie sich noch erinnern?

Manchmal habe ich regelrechte Albträume aus dem politischen Bundestagsleben gehabt. Herr Schröder und Herr Fischer waren mir da zu nah auf die Pelle gerückt. Ich war elf Jahre lang im Bundestag – mehr als genug.

Wollen Sie uns nicht einen Albtraum erzählen?

So genau kriege ich das nicht mehr hin. Aber man muss wissen: Joschka Fischer hat immer wie ein Übervater ziemlich harsch hereinregiert und die Abgeordneten hart angemacht. Dann fühlt man sich nachts auch mal … angemacht.

Geht es da auch um sehr Persönliches?

Natürlich. Das kann man in der Politik gar nicht trennen.

Wie sind Sie überhaupt in die Politik geraten?

Ich bin eine Quereinsteigerin. Eigentlich bin ich ja Architektin und Stadtplanerin. Ich bekam den Job, Häuser gemeinsam mit Hausbesetzern zu sanieren. Die Alternative Liste bat mich daraufhin 1989, hier in Kreuzberg die Baustadträtin zu machen. 1993 bin ich in die Partei eingetreten. Ich stamme aus einer Familie, in der Parteizugehörigkeit mit großer Skepsis gesehen wurde. Als ich mich über die Bonner Politik zur Wiedervereinigung ärgerte, entschied ich mich, bei den Grünen einzutreten.

Was konnten Sie im Bundestag erreichen?

Schon unter Umweltminister Klaus Töpfer von der CDU konnte ich Grünen-Anliegen unterkriegen. Beispielsweise habe ich vieles beim Hauptstadtumzug geschafft. Die ökologischen Bestandteile im Reichstag und im Spreebogen sind mein Ei, das ich in der Opposition gelegt habe.

Und was ist nicht gelungen?

Ich wollte Kosten sparen beim Regierungsumzug, weil ich alles ziemlich überdimensioniert fand. Da haben die anderen immer gesagt:

Eichstädt-Bohlig setzt sich mit durchgedrücktem Rücken in ihrem Sessel auf und sagt das Folgende mit spöttisch-pathetischem Tonfall.

„Aber Frau Eichstädt, ein Parlament baut man nur einmal in hundert Jahren!“

Wie ist das Gefühl der Macht?

Macht ist nicht das Entscheidende. Aber es macht höllisch Spaß, wenn Sie etwas durchsetzen, obwohl die ganze Ministerialbürokratie das eigentlich verhindern will. Und das ist der Sport daran.

Sind wir nicht am Ende dieser Gesellschaft angekommen?

Nee, das ist man nie. Egal, wie die Situation ist, sollte man sich dafür engagieren, sie ein Stück zu verbessern. Ich bin heute nicht mehr in dem Alter, in dem ich hoffe, mit einer Revolution die ganze Welt von heute auf morgen umzuswitchen.

Daran haben Sie geglaubt?

Daran habe ich mal geglaubt.

Wann war das?

Ich bin ja eine richtige alte 68erin. Damals haben wir die Technische Universität umgekrempelt und richtig Rambazamba gemacht.

Wovon träumen Sie heute?

Einmal davon, dass uns zum Thema Globalisierung mehr einfällt. Zum anderen finde ich, in Berlin wird regiert wie mit eingeschlafenen Füßen. Hier gibt es sehr viel zu tun.

Eichstädt-Bohligs Beine sind noch immer in Abwehrhaltung übereinander geschlagen. Immer wieder wendet sie ihre Antworten auf persönliche Fragen ins Politische. Das scheint auch der Moderator zu merken.

Das ist ja jetzt schon Wahlkampf.

Eichstädt-Bohlig wollte gerade nach ihrem Wasserglas greifen. Jetzt zieht sie ihre Hand wieder zurück. Die Antwort geht vor.

Nein, der kommt ab Mai. Ich sage das, weil die Stadt sonst nicht in die Gänge kommt.

Haben Sie ein Privatleben?

Eichstädt-Bohlig dehnt bei ihrer Antwort lustvoll die Vokale.

Ooh, jaa! Ich habe ein sehr harmonisches und glückliches Privatleben, bin poppnormal und seit Urzeiten – seit 1970 – verheiratet.

Und das funktioniert?

Ja. Ich habe einen sehr emanzipierten Mann.

Was ist Ihr Rezept, damit Ihre Beziehung funktioniert?

Mein Mann hat von Anfang an gesagt: „Ich will keine Hausfrau zur Frau. Sondern wir wollen unser Leben partnerschaftlich teilen.“ Wir haben einander immer genug Lebensraum gelassen. So haben wir zwei Söhne großgezogen, die ihrerseits unheimlich positive Beziehungen führen.

Wo wohnen Sie?

Klassischer Altbau am Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Eines der Häuser, das durch die Mieterbewegung bezahlbar geblieben ist. Nach heutigen Maßstäben ist die Wohnung zu groß: 160 Quadratmeter für zwei Personen.

Was machen Ihre Kinder?

Beide sind schon über 30. Der eine ist auch Architekt geworden – wie seine Mutter und sein Vater – und lebt in London. Der zweite wollte nichts mit städtebaulichen Debatten am Frühstückstisch zu tun haben. Er ist Volkswirt und lebt mit Frau und Kind in Berlin. Richtig poppnormal.

Ganz anders als das Ideal der 68er, die ein anderes Leben führen wollten.

So eine Homebase brauchen Sie, wenn Sie sich engagieren wollen.

Nach einigen Fragen zu bürgerschaftlichem Engagement geht das Gespräch dem Ende zu. Eine Frage hat Peter Kees noch, die er seinem Gast auf jeden Fall stellen muss. Und nach der einige Sekunden lang Stille herrscht.

Wie ist Ihr Verhältnis zum Tod?

Als ich elf Jahre alt war, hat meine Mutter Selbstmord begangen. Ich habe Jahre – bis ins Erwachsenenalter – gebraucht, um das zu verarbeiten. Das ist das Eine. Auf der anderen Seite denke ich manchmal: Ich habe bisher ein gutes Leben gehabt, ich bin 64 Jahre alt. Wenn ich morgen sterben würde: o.k. Warum nicht? Das ist etwas widersprüchlich.

Haben Sie eine Vorstellung, was nach dem Tod kommt?

Ich gehe davon aus, dass nichts kommt. Ich habe auch gar nicht das Bedürfnis, dass danach etwas kommt. Ich möchte, dass die jüngeren Generationen den Raum erhalten, den sie brauchen. Das ist dann deren Leben.

Am Ende des Gesprächs hat Eichstädt-Bohlig die Beine noch immer in Abwehrhaltung übereinander geschlagen. Das Wasserglas ist unberührt geblieben.