„Somos América – Wir sind Amerika!“

Erneut demonstrieren in vielen Städten der USA hunderttausende MigrantInnen mit und ohne Papiere für ihr Recht, zur US-amerikanischen Gesellschaft dazuzugehören. Der Senat bleibt über geplante Neuregelungen zerstritten

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Wie viele Gärten am Montag in den USA unbeschnitten blieben, wie viele Wasserrohrbrüche unrepariert oder Sandwiches ungeschmiert blieben, darüber gibt es noch keine Statistik. Landesweit marschierten mehrere hunderttausend Immigranten, die meisten von ihnen aus Lateinamerika, in zahlreichen Städten wie Washington, Atlanta, Phoenix und Los Angeles – und demonstrierten für ihr Recht auf Einwanderung.

Der eigentliche Zweck der Demonstration war die Forderung nach rechtlichem Schutz für die geschätzten elf bis zwölf Millionen illegalen Immigranten, die oft genug bereits seit Jahren in den USA leben und arbeiten. Gleichzeitig geriet der Aufmarsch der Einwanderer zu einem Muskelspiel der ansonsten kaum wahrnehmbaren dienstbaren Geister des amerikanischen Wirtschaftsbooms.

„Wir sind hier, wir werden nicht zurückgehen“ skandierten die bis zu 400.000 Demoteilnehmenden auf der Washingtoner Meile zwischen Weißem Haus und Kapitol. Obwohl die Demonstranten kleine Fähnchen ihrer Herkunftsländer wie Mexiko, Kolumbien oder Honduras zeigten, überwogen doch die großformatigen Farben der USA. „Somos América – Wir sind Amerika!“, riefen sie immer wieder auf Spanisch und Englisch. Für viele unter ihnen war es das erste Mal, dass sie sich politisch engagieren. Ein Umstand, der manchen Kommentator in den abendlichen TV-Sendungen schon zu der Vermutung führte, dass diese Demonstrationen die Geburtsstunde der politischen Bewegung der „Latino-Power“ sein werde, der größten Minderheit der USA.

Vor dem Hintergrund einer gegenüber Migranten feindseliger werdenden Politik zeigten die US-weiten Demonstrationen tatsächlich, welch zahlenmäßige Macht hinter dem anonymen Begriff der Immigranten steckt. Dies hatte in den letzten Monaten die beiden Kammern des Kongresses nicht davon abgehalten, erbitterte Debatten über eine Einschränkung der Migration zu führen. Das Abgeordnetenhaus verabschiedete eine Reihe von Gesetzen zur Verstärkung der Grenzsicherheit und zur Kriminalisierung illegaler Einwanderer und ihrer Helfer.

Der US-Senat hat sich in eine bislang ergebnislose Debatte verbissen, die ursprünglich dazu führen sollte, den bereits in den USA lebenden Illegalen Wege in die Legalisierung zu eröffnen. US-Präsident George W. Bush, der in Fragen der Immigration eine liberalere Haltung vertritt, unterstützt den Anlauf des Senats. Gleichzeitig versucht er aber, seine republikanische Partei nicht an dem Versuch zu hindern, aus der Immigrationsfrage für die Kongresswahlen im November politisches Kapital zu schlagen.

Die Demonstrationen vom Montag waren keine spontane Versammlung, sondern Ergebnis einer wochenlangen, breit orchestrierten Mobilmachung. Schon Wochen zuvor hatten Migrantenorganisationen und Kirchen dazu aufgerufen. zur Demo zu kommen. Spanischsprachige Zeitungen, Radio- und TV-Sender hatten ihren HörerInnen eingehämmert, dass es wichtig sei, sich zu zeigen.

Die Botschaft sei, sagte Hector Flores, Präsident der Liga der vereinigten lateinamerikanischen US-Bürger, „heute marschieren wir, morgen wählen wir“. Dass die Migranten just zu diesem Zeitpunkt marschierten, habe damit zu tun, dass die Kongress-Debatte „einen Nerv getroffen“ habe. Der vom republikanischen Abgeordneten und Vorsitzenden des Rechtsausschusses, James Sensenbrenner, eingebrachte Gesetzentwurf, nachdem Illegale in Zukunft bestraft und deportiert werden sollen, sei „brutal“. „Das Gesetz bedroht das, was uns Latinos am heiligsten ist, das, was uns zusammen hält, die Familie“, sagt Flores. „Wie sollen wir Kindern von illegalen Migranten erklären, die eventuell in der US-Armee im Irak dienen, dass zu Hause ihre Großeltern und Eltern deportiert werden?“

Gegendemonstrationen gab es am Montag zwar keine, doch sind laut einer jüngsten Umfrage der Tageszeitung Washington Post und des Senders ABC rund 70 Prozent der US-AmerikanerInnen der Ansicht, dass die Regierung zu wenig gegen illegale Migration unternehme. Nur wenige Politiker äußerten ihre ablehnende Haltung am Montag so offen wie der republikanische Abgeordnete John Allen aus Arizona: „Die Frage ist doch, wann und wie wir die illegale Migration stoppen. Gegenwärtig ist es so, dass du jeden Morgen aufwachst und es sind noch mehr von ihnen da. Es wird so weiter gehen, bis wir endlich eine gesicherte Grenze haben.“