Oh heilige Audiovision

Die Öffnung des Vatikans für die Medien ist sein bleibendes Verdienst: Obwohl schon vom Tod gezeichnet, zeigte sich Papst Johannes Paul II. Ostern vor einem Jahr noch einmal der Öffentlichkeit – und diente damit der Verbreitung des Evangeliums

Effektiver und friedlicherals alle Kreuzzüge sollten die Journalisten die Wahrheit des Evangeliums in die Welt tragen

VON JÜRGEN BÄTZ

Ostern 2005 auf dem Balkon des Apostolischen Palastes war sein letzter öffentlicher Auftritt. Die ganze Welt sah zu, wie der Papst litt und kein Wort mehr herausbrachte. Den Segen Urbi et Orbi konnte er nicht mehr sprechen, auf den Fernsehschirmen der ganzen Welt war ein verzweifelter und von Krankheit gezeichneter Mann zu sehen.

Jedoch: Er wollte, dass sein Bild um die Welt geht. Diese Öffnung des Vatikans für die Medien gehört zu den Dingen, die von ihm bleiben werden. Dahinter kann auch sein Nachfolger Benedikt XVI. nicht mehr zurück. Wer über den Papst nachdenkt, muss seit Johannes Paul II. auch über dessen Verhältnis zu den Medien nachdenken.

„Danken wir Gott für diese machtvollen Mittel“, hat Johannes Paul II. noch kurz vor seinem Tod über die Medien geschrieben. Er hat die Medienpolitik des Vatikans während seines 27-jährigen Pontifikats revolutioniert, indem er damit begann, die Medien geschickt zum ureigenen Interesse seines Amtes zu instrumentalisieren: zur weltweiten Propaganda des Evangeliums.

Schon fünf Tage nach seiner Wahl zum Papst im Oktober 1978 sprach Karol Wojtyła zu den in Rom versammelten Journalisten und bezeichnete sie als „religiöse Informatoren, vereint im Dienst an der Wahrheit“. Damit zeichnete er das informationspolitische Programm seines Pontifikats vor. Effektiver und friedlicher als alle Kreuzzüge sollten die Journalisten seine Wahrheit des Evangeliums in die Welt tragen und ihm missionieren helfen.

Dafür musste er natürlich auch auf die Medien zugehen. „Fürchtet euch nicht vor den neuen Technologien“, war sein Credo. Er war sich bewusst, dass die Medien „machtvolle Schlüsselakteure in der heutigen Welt“ sind. Er wusste, dass sie die einzige und wirkungsvollste Waffe waren, seine päpstlichen Botschaften im Kontext des 20. Jahrhunderts weltweit zu verkünden. Und er war begeistert: „Man denke zum Beispiel an die TV-Satelliten-Übertragungen religiöser Zeremonien, die oft Zuschauer in der ganzen Welt erreichen“, schwärmte er.

Deshalb entstand ein symbiotisches Verhältnis zu den Medien. Der Pontifex war bereit, sich in jeder Lebenslage auf Schritt und Tritt fotografieren, filmen und beobachten zu lassen. So bekamen die Medien ihren Superstar: weltberühmt, ohne Starallüren, leutselig und charismatisch. Er war telegen und dazu auch noch glaubhaft – ein medialer Traummann. So wurde er der bisher am meisten fotografierte und gefilmte Mensch der Welt.

Das zweite Vatikanische Konzil hatte 1962 beschlossen, dass die Kirche sich den Medien öffnen müsse, doch die Vorgänger von Johannes Paul II. waren noch Vertreter des alten Papsttums gewesen: unnahbar und medienscheu. Deswegen stieß Karol Wojtyła mit seiner Hinwendung zu den Medien in der römischen Kurie anfangs auf viel Misstrauen. Es herrschte die Befürchtung, die Autorität des Papstes würde schwinden, wenn er sich nicht mehr als unnahbarer Stellvertreter Christi darstellte. Doch Johannes Paul II. ignorierte die Bedenkenträger und handelte seinem Instinkt folgend. Schon am Tag seiner Wahl warf er das ganze vatikanische Protokoll über den Haufen. Er sollte nur vom Balkon aus einen Segen auf Lateinisch sprechen, hielt dann aber eine ganze, improvisierte, Ansprache auf Italienisch.

Zum Entsetzen der Kurie begann der Papst danach, die Medienpolitik des Vatikans zu professionalisieren. Er schuf eine effiziente Pressestelle und inthronisierte den konservativen Opus-Dei-Mann Joaquin Navarro-Valls als seinen Sprecher. Die vatikaneigenen Medien, die Zeitung Osservatore Romano und der Sender Radio Vatikan, wurden fortan strenger kontrolliert, und ihr Angebot wurde um einige, vorwiegend osteuropäische, Sprachen erweitert. Zusätzlich ließ der Papst einen vatikanischen Mini-Fernsehsender gründen, der anderen Sendern Filmmaterial von allen Auftritten des Papstes zur Verfügung stellte. Ebenfalls eine Neuerung war, dass sich der Papst als Publizist hervortat. Nach dem Attentat von 1981 entstand mit seiner Hilfe ein Bildband, in dem seine Krankengeschichte erzählt wurde – sogar im Bademantel kannte die Welt den Papst fortan. Es folgten weitere Bildbände und zahlreiche theologische Bücher, in denen er seine Botschaft propagierte. Auch das bis dahin Undenkbare realisierte sich: Der Papst sprach persönlich mit einfachen Pressevertretern und ließ sich interviewen. Sogar in seine Privaträume ließ er Reporter und Fotografen kommen – Glasnost im Vatikan.

Nur ein einziges Mal ist dokumentiert, dass es seinen Ratgebern gelang, seinen Medien-Enthusiasmus zu bremsen. 1993, zu seinem 15-jährigen Papst-Jubiläum, hatte Johannes Paul II. dem italienischen Fernsehsender RAI ein einstündiges Interview vor laufender Kamera zugesagt. „Damit wird der Papst ein beliebiger Politiker, der um Sendezeit heischt“, befürchtete man in Vatikankreisen. Obwohl das Projekt längst abgesprochen war, kam es nie dazu – sie hatten Karol Wojtyła ausgebremst. Er beantwortete die Fragen des Journalisten dann schriftlich, woraus ein Bestseller wurde.

Die katholische Kirche mit ihrem barocken Zeremoniell ist per se bildstark. Dieses Trumpfes war sich Johannes Paul II. bewusst: „Besonders Bilder haben die Macht, dauerhafte Eindrücke zu vermitteln und Verhalten zu formen“, schrieb er 2005. Die Münchner Professorin für Kommunikationswissenschaft, Petra Dorsch-Jungsberger, erklärt dazu: „Als Student hat Karol Wojtyła Theater gespielt. Er hatte die Begabung, sich selbst in Szene zu setzen. Sein Auftreten, die Körpersprache und seine Bewegungen haben eine perfekte Wirkung in den Medien gehabt.“ Der Papst, sagt sie, habe es verstanden, durch seine Massenveranstaltungen wie die Weltjugendtage Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie viel an seinen Auftritten dabei PR-Inszenierung und wie viel noch authentisches Religionsprogramm war, lässt sich nur schwer beurteilen. Seit diesem Papst ist das nicht mehr zu trennen.

Ein schönes Beispiel für die Dimension des Medien-Events ist die Kuba-Reise des Pontifex von 1998. Zusätzlich zu den Journalisten aus Rom waren Medienvertreter aus aller Welt gekommen, vergleichbar mit dem Medienrummel einer Olympiade. Mehr als 160 Fernsehsender wollten den Abschlussgottesdienst live übertragen. Doch dann, dieses eine Mal, passierte etwas, was sogar den Nachrichtenwert des Papstes überschattete: Monica Lewinsky hatte von ihrem Blowjob während ihres Praktikums im weißen Haus erzählt – und plötzlich waren viele Journalisten weg, die Messe wurde „nur noch“ von 70 Sendern weltweit übertragen. Aber es musste eben schon eine Weltmacht moralisch ins Wanken geraten, um die Aufmerksamkeit vom Papst so abzuziehen.

Karol Wojtyła handelte wirkungsorientiert und war damit seiner Zeit oft voraus. Während manche Prälaten der römischen Kurie die Korrespondenz Anfang der 90er-Jahre am liebsten noch auf Lateinisch abgewickelt hätten, öffnete sich der damals schon gut siebzigjährige Papst dem Internet. Dieses „Forum, das Raum, Zeit und Kulturen“ überwand, gefiel ihm. „Das Internet bietet ausgezeichnete Möglichkeiten der Evangelisierung“, ließ er die Skeptiker wissen. Seither hat der Vatikan eine sehr umfangreiche Webseite – nur die E-Mail-Adresse des Papstes sucht man vergeblich.

Der polnische Papst war inhaltlich konservativ. Trotzdem hat er die Weltkirche ins Zeitalter der Medien katapultiert und sein eigenes Amt konsequent als Show inszeniert. Sein Nachfolger muss nun nolens volens den Medienweg weitergehen, auch wenn es weniger in seinem Naturell liegt. Johannes Paul II. wusste, dass er im Zeitalter der Kommunikation keine andere Wahl hatte. Um seine Heilsbotschaft zu verbreiten und dem Vatikan Macht und Einfluss als „Global Player“ der internationalen Politik zu bewahren, musste er die Medien nutzen. So kam es zu dem symbiotischen Verhältnis, in dem er sich immer bereitwillig ablichten ließ, um dafür die Medien zu den Rittern seines Kreuzzugs zu machen.