Körting legt sich mit den UN an

Der Innensenator will die Familie S. und die 22-jährige Lutfije I. in das Kosovo abschieben. Ein erster Versuch war gescheitert: Die UN-Verwaltung hatte sie zurückgeschickt. Jetzt kritisiert Körting auch sie

von WALTRAUD SCHWAB

Trotz Protesten von Flüchtlingsorganisationen will der Innensenator morgen die achtköpfige Familie S. sowie die 22-jährige Lutfije I. in das Kosovo abschieben. In beiden Fällen gibt es starke Kritik an der unnachgiebigen Haltung von Ehrhart Körting (SPD). Bereits Mitte März waren Abschiebungsversuche gescheitert. Seither werden Lutfije I. sowie der Vater und der älteste Sohn der Familie S. im Abschiebeknast in Grünau festgehalten.

Im Fall der Familie S., die seit zwölf Jahren in Berlin lebt, war die erste Abschiebung an den Bedenken der UN-Verwaltung für das Kosovo (Unmik) gescheitert. Sie lehnte die Aufnahme der Flüchtlinge ab, nachdem diese in Priština gelandet waren. Begründung: Dort gebe es keine Behandlungsmöglichkeiten für die kriegstraumatisierte Mutter.

Die Traumatisierung war vorab von einem von der Ausländerbehörde anerkannten Gutachter bestätigt worden. Die Berliner Behörden hatten sie der UN-Verwaltung des Kosovo jedoch nicht mitgeteilt. Erst über Dritte erfuhr die Unmik davon – und schickte die Familie daraufhin wieder nach Berlin.

Nun reagiert der Innensenator erbost. Er wirft der Unmik vor, sich mit der Ablehnung der Flüchtlinge über Entscheidungen deutscher Gerichte hinwegzusetzen. Die UN-Behörde dürfe keine „Oberinstanz für deutsche Gerichte“ sein. Laut Körting sei es zudem niveaulos, sich an den staatlichen Stellen vorbei Information zu beschaffen. Zudem polemisiert Körting gegen die Regelung, der zufolge traumatisierte Menschen nicht im Kosovo aufgenommen werden. Traumatisierung sei keine Green Card, um in Deutschland bleiben zu können, meint er.

Dass die Familie nach den Frontlinien, zwischen die sie im Kosovo geriet, in der Kampfzone der deutschen Gerichtsbarkeit landete, ist eine humanitäre Frage, die die Behörden nicht interessiert. Anders als die Härtefallkommission. Die Geschichte der Familie ist dort angemeldet, aber noch nicht verhandelt. Eigentlich darf vor einem Votum der Kommission nicht abgeschoben werden, sagt Lutz Weber, der Rechtsanwalt der Familie.

Auch im Fall der 22-jährigen Lutfije I. legt deren Rechtsanwältin Oda Jentsch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht gegen die Abschiebung ein. Zudem beantragt sie von den Ausländerbehörde die Zusicherung, bis zur Entscheidung über die Beschwerde nicht abzuschieben. Der Ausgang ist offen.

Lutfije I. kam 1998 mit ihrer Mutter und den jüngeren Geschwistern nach Berlin. Ihr Heimatdorf lag direkt in der Frontlinie. Als es von den Albanern nicht mehr gehalten werden konnte, floh die Mutter mit den jüngeren Kindern. Der Vater und eine ältere Schwester blieben im Kosovo und erlebten Inhaftierung, Vertreibung und sexuelle Übergriffe. Die beiden wurden erst 2003 und 2004 vom Roten Kreuz mit ihrer in Berlin lebenden Familie zusammengebracht.

Lutfije I., die zerrüttet im Abschiebeknast sitzt, gilt als gut integriert in Berlin. Hier hat sie die Verantwortung für ihre zerrissene Familie übernommen. Hier hat sie den Realschulabschluss nachgeholt. Hier hätte sie – einen gesicherten Aufenthaltsstatus vorausgesetzt – eine Lehre als Arzthelferin beginnen können. Hier hat sie ihre Freunde, von denen sie sich gestern im Abschiebeknast verabschiedete. „Im Kosovo kenne ich niemanden.“