Ex cathedra

Warum die Kritiker sich so intensiv mit diesem Buch befassen: Überflüssige Anmerkungen zur Debatte um Volker Weidermanns Buch „Lichtjahre“

Sie ahnen nicht, wo ich hier sitze, und schon gar nicht, wie sich das anfühlt. Ja, gut, in der taz, das war nicht schwer. Aber wo da? Genau, egal, wer’s verraten hat: auf dem Stuhl, auf dem Volker Weidermann gesessen ist, taz für taz, bis 2001. Man sieht es ihm nicht an, aber er hat es in sich. Und wie’s so aussieht, war ich vielleicht der letzte, denn das gute Stück soll, wie man hört, zur Aufbesserung des maroden taz-Budgets an das Literaturmuseum Sulzbach-Rosenberg verkauft werden. Oder an Sie, wenn Sie wollen.

Jetzt dürfen Sie noch raten, wer mir hier beim Schreiben zuschaut. Auch richtig: Volker Weidermann. Denn mir gegenüber auf der Glaswand gibt es sechs Reihen Mitarbeiterfotos aus den letzten hundert Jahren taz, und auf dem Foto in der zweiten Reihe ganz rechts, der junge Mann, dem da die blonden Haare so schön zu Berge stehen, das ist er, und er strahlt.

So dürfen wir ihn uns auch jetzt vorstellen, denke ich: strahlend. Denn er ist derzeit der zweitberühmteste Literaturkritiker Deutschlands. Das erspart es mir hier auch, nachzubeten, was er mit seiner munteren Literaturgeschichte der Nachkriegszeit angerichtet hat, der er das schöne Kompliment „Lichtjahre“ als Titel mitgegeben hat. Es geht nämlich um Emphatognostik, und sagen Sie nicht, dass Sie nicht wissen, was das ist. Es ist nämlich nichts anderes als die Tatsache, dass jeder aus der Zunft der Kritiker sich klar zu werden hat, ob er mit dem Kopf oder mit dem Bauch schreibt, damit die Sache Hand und Fuß hat. Und sagen Sie jetzt bitte nicht, dass Sie immer der Meinung waren, der ganze Mann und die totale Frau sitzt vor dem Buch und liest und schreibt. Solche Bemerkungen zeigen nur Ihre Ahnungslosigkeit und stören nur die Debatte.

Wir können uns daher gleich darüber verständigen, warum die Kollegen mit so viel Eifer darüber schreiben (zuletzt Gregor Dotzauer, sehr klug): weil’s nämlich endlich wieder mal um sie geht, um die Kritiker. Genau, die Kritiker, nicht die Kritik.

Denn es ist schwer, stets derart unerkannt zu arbeiten. Schließlich ist nicht jeder ein Reich-Ranicki. Um die Wahrheit zu sagen: Davon gibt es überhaupt nur einen, und das ist ja auch gut so. Auch Volker Weidermann gibt es nur einmal, und auch nur einen Stuhl, auf dem er in der taz einmal gesessen hat. Und auf dem ich grad sitze. Wollen Sie ihn jetzt kaufen? JOCHEN JUNG