Lieber krank arbeiten als gesund feiern

Arbeitnehmer sind unter Druck: Der Krankenstand in NRW ist so niedrig wie noch nie. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes treibt Kranke ins Büro. Gewerkschafter befürchten gesundheitliche Spätfolgen und steigende Kosten

DÜSSELDORF taz ■ Nordrhein-Westfalens Angestellte gehen immer häufiger krank zur Arbeit. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Gesundheitsreport der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK), für den fast 470.000 Krankschreibungen in NRW vergleichend analysiert wurden. Der Krankenstand in Nordrhein-Westfalen lag 2005 bei drei Prozent und ist im Vergleich zu 2004 um 0,1 Prozentpunkte gesunken. Die Prozentzahlen geben an, welcher Anteil der Beschäftigten an einem Tag arbeitsunfähig gemeldet war.

„Die Angestellten stehen immer stärker unter Druck“, sagt Rainer Schmöning, Sprecher der DAK. Viele hätten angegeben, krank zur Arbeit zu gehen, um ihren Job zu behalten. In Nord-rhein-Westfalen ist der Druck offenbar besonders groß: Im Bundesdurchschnitt liegt der Krankenstand bei 3,1 Prozent. Gleichzeitig ist die Zahl der psychischen Erkrankungen stark gestiegen: „Heute fehlen siebzig Prozent mehr Arbeitnehmer wegen psychischen Erkrankungen als noch vor fünf Jahren“, sagt Schmöning. „Sie haben Depressionen, Stress und Angststörungen.“ Auch das liege vor allem am gestiegenen Arbeitsmarktdruck, vermuten die Macher des Gesundheitsreports. Hier stehen die nordrhein-westfälischen Beschäftigten besonders schlecht dar: Während bundesweit auf 100 ArbeitnehmerInnen 112 Fehltage wegen psychischen Krankheiten kommen, sind es in NRW 120 Fehltage – fast acht Prozent mehr. „Dieser Negativtrend wurde auch diesmal bestätigt“, sagt Schmöning.

Guntram Schneider, Vorsitzender des nordrhein-westfälischen Gewerkschaftsbundes (DBG), beobachtet diese Trends schon seit Jahren. „Dass Nord-rhein-Westfalen im Strukturwandel steckt, macht die Angst vorm Jobverlust besonders hoch“, sagt Schneider. Außerdem gebe es im Land mehr kleinere und mittlere Betriebe als Großkonzerne. „Da ist die Identifikation mit dem Arbeitsplatz höher als im anonymen Großraumbüro“, sagt Schneider. „Da geht man dann auch eher krank hin.“

Volkswirtschaftlich sei dieser Druck schädlich, analysiert Schneider. Zwar sparten die Arbeitgeber bei jedem Prozent Krankenstand weniger erst einmal Milliarden an Lohnfortzahlungen. „Wer aus Angst regelmäßig Krankheiten verschleppt, muss ziemlich sicher Frührente beantragen“, sagt der DGB-Chef. Die Arbeitgeber sollten also eigentlich daran arbeiten, den Gesundheitszustand ihrer Angestellten zu verbessern – indem sie sie nach Hause schicken, wenn sie krank sind. „Aber über Nachhaltigkeit wird in Deutschland ja lieber geredet als sie umgesetzt.“ MIRIAM BUNJES