Der Rubel rollt

Drahtseilakt im Nahen Osten: Anders als die USA und die EU will Russland weiterhin Geld an die Palästinensische Autonomiebehörde überweisen

„Der Kreml verfolgt eine Politik, die den eigenen nationalen Interessen entspricht“

AUS MOSKAU KARSTEN PACKEISER

Eine gemeinsame Politik von USA, EU und Russland im Nahen Osten sowie im Irankonflikt rückt in immer weitere Ferne. Nach dem Beschluss des Westens, seine Hilfszahlungen an die Palästinenser einzustellen, versprach Russlands Außenminister Sergej Lawrow der Autonomiebehörde in einem Telefongespräch mit Palästinenserführer Mahmud Abbas „wirtschaftliche Nothilfe“ aus Moskau. Gleichzeitig versuchen die russischen Diplomaten, eine Irandebatte im UN-Sicherheitsrat und eine anschließende Verhängung von Sanktionen gegen das Land zu verhindern.

Versuche, die palästinensische Hamas-Regierung zu isolieren, damit sie das Existenzrecht Israels anerkennt, stoßen in Moskau auf Ablehnung. „Mit der Hamas muss man arbeiten, statt ihr einen Boykott zu erklären“, sagte der russische Chefdiplomat Lawrow. Nur so könne gewährleistet werden, dass die radikale Palästinenser-Bewegung an den Verhandlungstisch zurückkehre. Meldungen aus Teheran über die erfolgreiche Uran-Anreicherung hatte der Minister vergangene Woche mit den Worten kommentiert, er sei „gegen voreilige Schlussfolgerungen“.

Auch Generalstabschef Juri Balujewski beruhigte Kritiker der russisch-iranischen Zusammenarbeit damit, der Iran stelle keine Bedrohung für Russland dar. Obwohl israelische Geheimdienstler inzwischen vom Gegenteil überzeugt sind, erklärte der General, das Regime in Teheran habe auf absehbare Zeit keine Chance, in den Besitz von Atomwaffen zu kommen.

Nach Ansicht des Moskauer Nahost-Experten Jewgeni Satanowski kann von einer neuen Rivalität zwischen Washington und Moskau trotz der aktuellen Meinungsverschiedenheiten dennoch keine Rede sein. Der Kreml verfolge vielmehr eine Politik, die nach seiner Überzeugung den eigenen nationalen Interessen entspreche. „Russland will keine iranische Atombombe, aber Russland will auch keinen Krieg direkt an seiner Südgrenze“, sagte der Direktor des Instituts für Israel- und Nahoststudien der taz. Der Kreml werde aber kaum dazu bereit sein, seine Beziehungen zum Westen zu opfern, um befreundete Regime im Nahen und Mittleren Osten zu erhalten, sagte Satanowski: „Russland wird bestimmt nicht die Beziehungsprobleme Irans zum Rest der Welt regeln.“

Für die russische Diplomatie ähnelt die derzeitige Krise im Nahen Osten einem permanenten Drahtseilakt. Seit kommunistischen Zeiten gab es gute Beziehungen zu vielen arabischen Ländern, während die diplomatischen Beziehungen mit Israel Jahrzehnte lang unterbrochen waren. Für den Kampf der Palästinenser gegen die israelische Besatzung gibt es auch in der russischen Elite viel Verständnis. Moskau ist zudem auf ein gutes Verhältnis zur muslimischen Welt angewiesen, damit von dort nicht allzu viel Hilfe an die tschetschenischen Kampfgruppen fließt. Bei seinem „Antiterrorkrieg“ im Kaukasus kann sich Russland wiederum der völligen Solidarität Israels sicher sein. Auch wegen des ständig wachsenden russischstämmigen Anteils an der israelischen Bevölkerung sind sich Russland und Israel in den letzten Jahren immer näher gekommen.

Im Iran hatten russische Ingenieure den noch vor dem Sturz des letzten Schahs von Siemens begonnenen Bau des Kernkraftwerks in Busher übernommen. Nicht erst seit der neue iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad keine Gelegenheit für militant antiisraelisches Säbelrasseln auslässt, sind die Russen massiv in Erklärungsnot. Derzeit ist weder eine Inbetriebnahme des ersten iranischen Atomkraftwerks noch die Ausführung von Russland erhoffter Nachfolgeaufträge abzusehen.

Einer russischen Kompromissinitiative im Atomstreit, die vorsah, dass ein Joint Venture auf russischen Territorium das Uran für das iranische AKW anreichern sollte, verweigerten die Iraner ihre Zustimmung. Mehrere Runden von Krisenverhandlungen in Moskau und Teheran endeten ohne konkretes Ergebnis, wenn auch iranische Diplomaten erklärten, die russischen Vorschläge seien noch nicht endgültig vom Tisch. Irans Staatschef Ahmadinedschad nutzte gleichzeitig eine Palästinakonferenz, um Israel einmal mehr die baldige Vernichtung vorherzusagen. Der jüdische Staat sei „ein fauliger, verdorrter Baum“, der von „einem kräftigen Windstoß umgeworfen“ werde, so der iranische Präsident. Ebenso fruchtlos wie alle Verhandlungen mit dem Iran blieb für Russland auch die offizielle Einladung führender Hamas-Funktionäre im Frühjahr nach Moskau. Von einer Anerkennung Israels wollte die Hamas nichts hören.

Somit sind die Möglichkeiten Russlands, seine nationalen Interessen auf internationalem Parkett durchzusetzen, äußerst beschränkt. Sollten die USA einen Militärschlag gegen den Iran beschlossen haben, könne sie ohnehin niemand mehr aufhalten, sagte Nahostexperte Satanowski. „Denn wie bereits beim Sturz Saddam Husseins wird Washington auch bei einem Angriff auf den Iran kaum den Segen der Vereinten Nationen für seinen Schlag einholen.“