Sind so schöne Suren

Mit einem Koran-Rezitations-Wettbewerb lockte die islamische Gemeinschaft „Milli Görüs“ an Ostern ins Berliner Tempodrom. Die enorme Resonanz zeigte die Mobilisationskraft der Organisation

Von DANIEL BAX

Mit seinem Spitzdach gleicht das Tempodrom in Berlin einer fernöstlichen Moschee. Normalerweise finden hier Popkonzerte, Zirkusshows oder Grünen-Parteitage statt. Doch am Ostersamstag verwandelte sich die Veranstaltungsarena für einige Stunden tatsächlich in so etwas wie eine Moschee: Auf der rechten Seite im Saal saßen die Frauen, überwiegend mit Kopftuch, und links die Männer, um mehrere Stunden lang Rezitationen aus dem Koran zu lauschen.

Anlass war ein Festival, das auf Plakaten in türkischen Supermärkten und an Häuserwänden überall in der Stadt angekündigt worden war. Geworben wurde mit dem Konterfei von Koryphäen der Koran-Rezitation, die aus der Türkei, dem Iran und Ägypten anreisen sollten. Diese saßen am Abend dann tatsächlich alle auf einer mit rotem Samt überzogenen Sitzgruppe auf der Bühne wie eine Talk-Runde bei „Sabine Christiansen“; rechts und links sorgten Transparente mit Moschee-Motiven für ein wenig orientalisches Dekor. Abwechselnd nahm jeweils ein Vorbeter in der Mitte Platz, warf sich einen Umhang über die Schulter, begab sich in den Schneidersitz und legte los. Bis auf den ägyptischen Gast in Predigerkluft waren alle in dunklen Anzügen gekleidet. Über ihren Köpfen hing eine Großbildleinwand, auf der die jeweilige Suren mit Untertiteln derweil ins Türkische und ins Deutsche übersetzt wurde.

Die Rezitation des Korans gilt als eigene Kunstform und bildet praktisch das Grundmodul der arabischen Musik. Früher gehörte sie quasi zur Grundausbildung eines arabischen Sängers, und es gibt verschiedene Schulen der Koran-Rezitation, die sich vor allem in der Verzierung des Gesangs unterscheiden. So ließen sich denn auch im Tempodrom leichte Unterschiede feststellen: Während es beim türkischen Vorbeter etwas gepresst und quäkend klang, pflegte sein ägyptischer Kollege einen kehligen und voluminösen Stil.

Für die Mehrheit im Saal, die auf besonders lobpreisende Passagen mit „Gott ist groß“-Gemurmel antwortete, dürften ästhetische Kriterien allerdings nicht im Vordergrund gestanden haben: Für sie zählte wohl eher das religiöse Moment. Nichtmuslime waren ohnehin nicht gekommen. Denn anders als bei inzwischen fast allen Formen religiöser Musik – von Gospel bis zu tibetischem Mönchsgesang –, hat der Koran-Gesang noch kein westliches „Weltmusik“-Publikum gefunden. So ist er Monopol der Gläubigen und seine sakrale Aura erhalten geblieben.

Erstaunlich aber, dass diese Veranstaltung so viele Zuhörer anzog: Gut 3.000 dürften es gewesen sein, darunter viele junge Leute, die mit ihrem Handy Aufnahmen machten. Noch erstaunlicher, dass das Publikum konzentriert bis zum Ende ausharrte: Immerhin dauerte das Event, mit Pausen, mehr als viereinhalb Stunden, und die eher spröde Darbietung ist ja nicht unbedingt jedermanns Sache. Wer will, kann darin ein Zeichen für die Renaissance islamischer Religiosität sehen. Oder aber für die Mobilisationskraft der „Islamischen Vereinigung Milli Görüs“, die als Veranstalter fungierte.

Kritiker wie der Kölner Journalist Ahmed Senyurt sehen in solchen Events den „giftgrünen Erlebnismarkt“ des Muslim-Verbands, wird dort doch auch für politische Ziele der Organisation geworben, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Bei einer ähnlichen Veranstaltung in Osnabrück soll kürzlich ein Film über den türkischen Islamistenführer Necmettin Erbakan gezeigt worden sein, und in Köln wurde der neue, islamisch korrekte TV-Sender Hilal TV aus der Türkei vorgestellt. In Berlin gab es nichts dergleichen, es blieb beim reinen Kulturprogramm. Vor der Tür gab es ein paar Bücherstände, auf denen islamische Erbauungsliteratur und allerhand Islamkitsch wie Spielkarten mit der Propheten-Vita oder den Koran auf CD-ROM angeboten wurden. Und kleine Gruppen sammelten Geld für eine neue Moschee, die sich derzeit noch im Bau befindet.

An dem Rohbau am Görlitzer Bahnhof in Berlin-Kreuzberg sind hinter den Gerüsten schon ein paar orientalische Erker-Türmchen zu erkennen. Glaubt man den Entwürfen, die auf Plakatwänden gezeigt wurden, dann wird das Innere der Moschee mit hellem Marmor und Springbrunnen einem Wellness-Center ähneln. Und solange der Koran hier als Gesangs- und nicht als Gesetzbuch benutzt wird, kann man dem Bau recht gelassen entgegensehen.