So einfach ist die Sache nicht

betr.: „Kritik an Israel darf kein Tabu sein“ von Uri Avnery, taz vom 15. 4. 06

Uri Avnery schreibt: „Wirkliche Antisemiten sind leicht zu erkennen. Sie haben einen Stil, der unverkennbar ist.“ So einfach ist die Sache aber nicht. Die Erkennung von Vorurteilen gegen Juden ist jeweils eine komplizierte Sache. Nur sehr verallgemeinernd kann aber gesagt werden, dass all jene, die Juden als etwas Besonders empfinden, sich im rassistischen Bereich bewegen.

Selber argumentiert Avnery rassistisch, wenn er auf die Einzigartigkeit des NS-Judeozids pocht und darauf beharrt, dass NS-Methoden unvergleichbar sind. Nur weil die Opfer Juden waren, soll dieser Völkermord aus der vergleichenden Forschung verbannt werden? Der Vergleich kann falsch oder richtig sein, tabuisiert werden darf er auf keinen Fall. Vor allem dann nicht, wenn der NS-Judeozid als Maßstab für Grausamkeit dienen soll.

Es gibt in Israel keine Vernichtungslager, PalästinenserInnen werden jedoch gettoisiert, und in mehrerer Hinsicht gibt es in Israel Prozesse, die stark an das NS-Deutschland der 30er-Jahre erinnern. Auf solche Ähnlichkeiten wies sogar Avnery selbst hin. Und in einem Artikel vom 13. 3. 2004 verglich er palästinensische Kämpfer von Jenin mit jüdischen Aufständischen des Warschauer Gettos.

Verschiedene Prozesse im damaligen NS-Deutschland werden nicht verstanden, wenn sie dämonisiert werden. Es handelt sich um Vorgänge, die leider überall zu finden sind und nicht deutsch-jüdisch spezifisch sind. Wenn herrschende politische Strömungen in Israel das Land „Araber-rein“ machen wollen und nach mehr Lebensraum streben, sind Assoziationen zu NS-Deutschland – mit allen Unterschieden – nahe liegend und gehören zu einem legitimen Protest, umso mehr, als Israel den Anspruch erhebt, im Namen der jüdischen NS-Opfer zu sprechen.

SHRAGA ELAM, israelischer Journalist, Zürich, Schweiz