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: Die Magdeburger Heimweh-Professorin

Die „Heimatschachtel“ war vielleicht nicht ihre originellste Idee: Hallorenkugeln, Theaterkarten, Knäcke und ein Zeitungsabo im „Ostpaket“, um Heimweh und Rückkehrbereitschaft der verlorenen Landeskinder zu fördern. Ähnliches hatten schon andere Ost-Länder erfolglos probiert. Aber die demografischen Analysen, die so ein Projekt inspirieren, stimmen und stammen oft von Christiane Dienel. Obwohl SPD-Mitglied, analysierte sie an der Fachhochschule Magdeburg-Stendal im Auftrag der schwarz-gelben Landesregierung. Nun steigt sie vom Mitglied im SPD-Kompetenzteam im Wahlkampf in der neuen schwarz-roten Regierung Sachsen-Anhalts zur Staatssekretärin im Sozialministerium auf.

Schon ihr preisgekröntes Promotionsthema in München deutete ihr Hauptforschungsgebiet an: „Kinderzahl und Staatsräson. Empfängnisverhütung und Bevölkerungspolitik in Deutschland und Frankreich bis 1918“. Erfahrungen mit zwei eigenen Kindern bringt die 1965 in Westfalen geborene Professorin auch ein. Bevor Dienel bei der Soziologie landete, hatte sie zunächst Geschichte, Germanistik, Slawistik und Volkswirtschaft belegt. Vor ihrer Berufung nach Magdeburg arbeitete sie als Referentin in der Brandenburger Landesregierung. In Sachsen-Anhalt avancierte die ostdeutsche Bevölkerungsentwicklung zu ihrem Generalthema. So erhellte eine ihrer Studien 2003 den Zusammenhang zwischen der Abwanderung junger Frauen und der sinkenden Geburtenrate. Die Ergebnisse flossen auch in die Strategiepapiere von SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn ein, die auf empfindliche Schrumpfungsprozesse einstimmen wollen.

„Rezepte, die Abwanderung zu stoppen, gibt es nicht“, räumte Dienel Ende 2005 ein. Mit „kleinen Maßnahmen“ könne man aber gegensteuern. Solche zu entwickeln war Teil ihres Forschungsauftrags. Dazu gehören Kontaktagenturen, Netzwerke, Internetportale, Heimattreffen und ebenjene Heimatschachteln. „Weggehen und wiederkommen“ sei das Motto. Skeptikern hält sie Erfolge in Auswandergebieten Süditaliens oder Nordportugals entgegen. Angesprochen werden sollten nicht nur junge Leute, sondern auch Senioren, für die sie ein Existenzgründerprogramm fordert.

Nun, da sie Mitverantwortung in der Regierung trägt, darf man auf ihren Einfluss gespannt sein. Das Internet spiegelte bisher die Fülle ihrer Veröffentlichungen und Vorträge. So intensiv, dass das kirchliche Engagement und die musikalischen und sportlichen Hobbys der vielseitigen und vielsprachigen Frau erstaunen. Im Sozialministerium wird sie mehr Verwaltungs-Trockenbrot kauen müssen. MICHAEL BARTSCH