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: Von Geistern und Puppen

Mamoru Oshiis Anime „Ghost in the Shell 2: Innocence“ ist ein tranceartiger Film: unheimlich und schön zugleich

„Ghost in the Shell“, das Original von 1995, fehlt in keiner Aufzählung der bedeutendsten Animes. Mamoru Oshiis Film ist ein direktes Vorbild für „The Matrix“; er hat längst eine umfangreiche Serie von narrativ lose damit verkoppelten TV-Filmen nach sich gezogen. Oshii ist als größter Anime-Regisseur neben Satoshi Kon („Tokyo Godfathers“) und Hayao Miyazaki („Das wandelnde Schloss“) anerkannt, mal abgesehen davon, dass er auch ein Meister des Realfilms ist, wie etwa die Virtual-Reality-Dystopie „Avalon“ (2001) beweist.

Kein Wunder, dass die Fortsetzung des Klassikers, „Ghost in the Shell 2: Innocence“, als erstes Anime im offiziellen Wettbewerb von Cannes gezeigt wurde. Die Kritik reagierte freilich eher mit Ratlosigkeit. Offenbar hatte Oshii den direkten Anschluss an zeitgeistnahe Themen diesmal verpasst – anders als beim Original, das mit seinen Meditationen über das Verhältnis von Körper und Seele im Cyber-Zeitalter auf der Höhe der Zeit war. Der Zweifel des weiblichen Mensch-Maschinen-Hybrids Major Kusanagi an der eigenen Existenzform erwies sich spätestens mit dem Upload der „Seele“ in die immaterielle Daten-Matrix als sehr zeitgemäßes Update vertrauter „Blade Runner“-Motive.

Am Ende von „Ghost in the Shell“ blieb der Cyborg Batou allein zurück. Hier setzt die Fortsetzung ein. Kusanagi, die Heldin des ersten Teils, hat erst am Ende wieder einen Auftritt, als Download auf Zeit in einen fremden Körper, als Geist in der Puppe. Überhaupt ist „Ghost in the Shell 2: Innocence“ weniger ein Film über Seelen und Körper als über Geister und Puppen. Und einen Hund. Eine philosophische Reflexion über Maschine, Puppe und Tier, Variationen des Humanen in nichtmenschlicher Gestalt. Elegant verbeugt sich Oshii in einer frühen Szene vor der Philosophin Donna Haraway, die mit dem Cyborg-Manifest in den 80ern berühmt wurde und heute Vorträge über „Cyborgs, Dogs and Companion Species“ hält. Der Hund im Film ist der beste Freund des Cyborgs Batou – und eine Hommage des Bassett-Liebhabers Oshii an diese Spezies.

Der Plot bringt Puppen ins Spiel, Puppen, die Männer sich kaufen fürs Liebesspiel, Puppen, die sich jedoch als höchst explosiv erweisen. Von Anfang an legt es der Film mit den Puppen auf eine doppelte Referenz an, den japanischen Puppenfanatismus zum einen, die brutale Zerstörung aller Puppenniedlichkeit im Werk des Künstlers Hans Bellmer zum anderen. Einmal wird Bellmer gar namentlich zitiert. Das ist typisch für den Film und seine einzige Schwäche. Er neigt zur philosophischen Überdeutlichkeit, vor allem im Dialog, der im Wesentlichen aus konfuzianischen und exzistenzialphilosophischen Überlegungen zu Puppen, Menschen und dem Leben als solchem besteht.

Anders gesagt: „Ghost in the Shell 2: Innocence“ ist eine entschleunigte Vision des sonst eher auf Action und Geschwindigkeit spezialisierten Anime. Es gibt sehr wohl Action-Sequenzen, die großartig sind, das Tempo des Films jedoch ist eher das von Trance und Meditation. Oft stellt Oshii seine Bilder für Sekunden still. Absichtlich monoton ist der Duktus des gesprochenen Worts. (Darum sollte man den Film im japanischen Originalton hören.) Mit enormem Aufwand hergestellt ist die atemberaubendste, narrativ kaum eingebundene, Szene des Films, ein langsamer Karnevalsumzug wie aus einer anderen Welt. Es ist eine der Passagen, die vollständig am Computer erzeugt wurden. Im Verbund mit der Musik von Oshiis Hauskomponisten Kenji Kawai gehört sie zum Schönsten und Unheimlichsten, das im Kino der letzten Jahre zu sehen war.

Schön aber, und unheimlich, ist vieles in diesem Film. Das huschende Licht auf den Gesichtern bei einer Autofahrt, die Geburt und das Sterben der Bellmer’schen Puppen, der mechanische Hund, die Wiederkehr Kusanagis im fremden Körper. Die Stille, die Langsamkeit, die Verlorenheit der Figuren in einer düsteren Zeichentrickwelt. „Ghost in the Shell 2: Innocence“ ist ein hinreißender Film, und im Hingerissensein verzeiht man auch die vielen Zeilen Text, die es nicht brauchte. Es ist auch ein Film, der die Leinwand braucht. Leider hat nach dem Einsatz beim Fantasy-Filmfest 2005 kein Verleiher in Deutschland den Mut gehabt, dieses Meisterwerk regulär ins Kino zu bringen. So ist die DVD, die nun erscheint, alles, was wir haben. EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist im Handel erhältlich, zum Beispiel bei amazon.de für 17.95 €