„Ich war immer rebellisch“

Ein Gespräch mit Jeanne Moreau über ihre Rolle in François Ozons neuem Spielfilm „Die Zeit, die bleibt“, über Arbeit und Leidenschaft, Kino in der Sommerfrische und die Frauen ihrer Generation

INTERVIEW CLAUDIA LENSSEN

Sie sitzt auf rotem Plüsch, trägt eine schwarze Kaftan-Bluse, trinkt Cola light und raucht lange dünne Zigaretten aus einem verzierten Mundstück. Das Ambiente prunkt mit Stucksäulen und Kronleuchtern, als hätte Sarah Bernhardt ihren Salon im Haus, aber es ist Jeanne Moreaus kratzige Stimme, die die Lobby des stillen alten Hotels unweit des Pariser Arc de Triomphe erfüllt. Erst wenn die 78-Jährige aufsteht, sieht man, wie zierlich sie in ihrer schmalen Seidenhose tatsächlich ist. Ihr dunkelblondes Haar wellt sich in einer eleganten Kurzhaarfrisur, die unverkennbaren, immer etwas blasiert wirkenden Lippen leuchten. Das Alter scheint für diese vitale Frau nur ein Zustand zu sein, in dem sie keine Zeit mehr für langweilige Dinge verschwenden mag. Im Gespräch gleitet ihr Blick manchmal indigniert in die Ferne, als hätte sie alles im Leben längst gesehen, aber dann ist Jeanne Moreau plötzlich wieder ganz da, fragt zurück, schaut genau hin.

taz: Frau Moreau, wie wichtig ist Ihnen, was zurzeit im Kino läuft?

Jeanne Moreau: Heute hatte ich keine Zeit, Libération zu lesen, aber da erscheinen jeden Donnerstag vier oder fünf Seiten zu Filmen. Das lese ich eigentlich jede Woche.

Was interessiert Sie? Die Pariser Kinoszene?

Wissen Sie, ich habe im letzten Jahr eine Filmschule gegründet. Außerdem bin ich auch aktiv beim Filmfestival in Angers beteiligt. Es nennt sich „Premier Plan“ und zeigt Erstlingsfilme. Seit vier Jahren mache ich da mit. Ich habe zum Beispiel Retrospektiven über Louis Malle und Marguerite Duras gemacht.

Wie viele Studenten haben Sie?

Nicht mehr als zehn. Wir arbeiten zwei Wochen lang mit ihnen an ihren Drehbüchern und Projekten.

Ist das eine Art Coaching?

Eine Masterclass. Sie findet jetzt jedes Jahr im Sommer statt, auch in Angers. Ich habe in diesem Jahr schon über 60 Kurzfilme von jungen Leuten gesehen, die da mitmachen wollen. Wir hatten letztes Jahr die Brüder Dardenne zu Gast und demnächst kommt Wim Wenders.

Als Sie mit Louis Malle an „Fahrstuhl zum Schafott“ gearbeitet haben, war die Szenerie ungewöhnlich dunkel. Hat Sie das eigentlich damals interessiert, welche Technik wozu verwendet wurde? Haben Sie sich fürs Handwerk interessiert?

Ich habe damals meine eigenen Kleider getragen, mir selbst das Make-up gemacht, ich war ich selbst, und ich konnte mit dem Schatten arbeiten. Schauen Sie sich die Plakate an, die zurzeit auf die Ausstellung „Paris au Cinéma“ hinweisen. Da sehen Sie ein Foto von mir von den Dreharbeiten in der Nacht. Die technische Seite und wie Louis Malle gearbeitet hat, das hat mich fasziniert, schließlich habe ich später selbst Filme gemacht, Spielfilme und ein Porträt über Lillian Gish. Aber wissen Sie, die Entscheidung trifft der Regisseur. Lesen Sie die Credits. Es ist sein Film.

Hat Regie mit Macht zu tun?

Ja, ein Regisseur ist eine Art Diktator, weil er die Verantwortung hat.

Ihre Mutter war Tänzerin. Wollten Sie tanzen, bevor Sie Ihre Karriere als Schauspielerin begannen?

Was heißt Karriere? Orson Welles hat gesagt: „Ich bin ein Amateur.“ Warum? Weil in dem Wort Amateur das Wort Amour steckt. Das sagt viel mehr über das Filmemachen als so ein Wort wie Karriere.

Manche Leute sind ziemlich stolz darauf, Filmprofis zu sein. Sie glauben, Liebe und Leidenschaft machen den Beruf aus?

Arbeit ist Leidenschaft, meine Liebe.

Und wie war es mit Ihnen und dem Tanzen?

Ich wollte tanzen und habe das viele Jahre in meiner Kindheit auch gemacht. Ein Onkel hat die Ballettschule bezahlt. Aber dann ist dieser Onkel gestorben, und ich musste lange Zeit aussetzen. Ich habe gewusst, dass man nicht viel erreicht, wenn man nicht von früh an trainiert. So war es dann zu spät. Und dann sah ich diese Theateraufführung von „Antigone“ – ich habe das schon oft erzählt – und da war mir klar, dass ich das will: spielen, etwas mit Worten ausdrücken, mit mir selbst. Deshalb wurde ich Schauspielerin.

Kannten Sie Marlene Dietrich?

Ja, ich habe Sie hier in Paris kennen gelernt. Sie war damals für mich sehr beeindruckend. Eine großartige Persönlichkeit, aber ein anderes Kino.

Kannten Sie die Josef-von-Sternberg-Filme der Dietrich?

Nein, damals wahrscheinlich nicht. Ich mochte sehr ihren Film mit Jean Gabin, „Martin Roumagnac“. Wir haben den „Blauen Engel“ auch erst nach dem Krieg sehen können. Wissen Sie, ich habe manche Filme schon vorher als Kind in England gesehen. Ich bin halb Engländerin und durfte im Sommer mit meiner Großmutter nach Brighton fahren. Dort gab es ein großes Kino mit Tischchen an den Sitzen. Die Damen trafen sich immer nachmittags dort zum Tee oder Gin. Es gab große Aschenbecher, und immer war ein Nebel vor der Leinwand. Dort habe ich die meisten Filme als Kind gesehen. Zu Hause in Paris hat mir mein Vater das Kino verboten. Ich glaube, ich kannte alle großen Filme aus diesen Ferien bei meiner Großmutter.

In Ihrem neuen Film, „Die Zeit, die bleibt“ von François Ozon, spielen Sie eine Großmutter, die die einzige Person ist, mit der ihr Enkel über seinen bevorstehenden Tod sprechen kann. Hat sich etwas zwischen den Generationen verändert? Konnten Sie mit Ihrer Großmutter über so ein Thema wie den Tod sprechen?

Das ist eine dumme Frage, darauf antworte ich nicht. Ich denke, Sie interessieren sich fürs Kino, nicht für mich privat? François und ich waren uns einig, dass wir zusammen etwas machen wollten. Die Rolle der Laura hat mich interessiert, weil diese Frau ein Leben hinter sich hat. Sie hat geheiratet, Kinder und Liebhaber gehabt, gearbeitet. Sie ist unkonventionell, eine Außenseiterin, das verbindet sie mit ihrem Enkel, und deshalb kann sie auch so frei über den selbst bestimmten Tod sprechen. Die Frauen meiner Generation wurden geheiratet, bekamen Kinder und wurden Großmütter in vorgezeichneten Bahnen. Ich wollte das nie. Ich war immer rebellisch. Das hat mich am Spielen und in meinem Leben interessiert. Das Leben der Frauen war in den Fünfzigerjahren sehr reglementiert.

Jemand hat Sie als Brigitte Bardot für die Intellektuellen bezeichnet.

Wo haben Sie das denn her? Vergessen Sie’s. Brigitte würde heute noch Filme machen, wenn sie nicht ab 35 Jahren Angst bekommen hätte, keine passenden Rollen zu finden. Das Älterwerden ist für Frauen heute immer noch brutal. Ich hatte es etwas leichter, ich hatte das Theater und habe selbst Filme gemacht.

Was halten Sie von der Geschichte in Ozons Film, in der Romain, der sterbende schwule Modefotograf, eine Frau schwängert?

Na ja, sie ist es, die ihn darum bittet, weil ihr Mann zeugungsunfähig ist. Wenn Sie wüssten, wie schwierig es ist, in Frankreich ein Kind zu adoptieren, dann hätten Sie mit der Geschichte keine Probleme. Und überhaupt, man kann sehr viele Geschichten über Schwulsein neu erzählen. Dass wir in Zeiten größerer Freiheit leben, stimmt doch nicht. Seit es Aids gibt, ist Sexualität doch wieder mit Schuld verknüpft so wie in meiner Jugend. Das hat sich alles nicht sehr gut entwickelt. Haben Sie die Ausstellung über Pedro Almodóvar gesehen, die zurzeit in Paris läuft? Das ist ein Regisseur, mit dem ich gern arbeiten würde.

Sind seine Filme nicht ein bisschen zu hysterisch für Ihren coolen Stil?

Ach was, er macht wunderbare Filme über Frauen und Schwule, er hat vor allem Humor. Eines meiner nächsten Projekte ist ein Film mit ihm. Im nächsten Jahr drehe ich auch ein Roadmovie in Japan. Und ich beschäftige mich weiter mit Marguerite Duras. Sie hat so wunderbare Theaterstücke geschrieben. Sagen Sie den jungen Schauspielerinnen in Deutschland, sie sollten mit den Stücken, die die Duras für Männerstimmen geschrieben hat, auftreten. Einfach einen kleinen Saal mieten und Duras sprechen. Das ist wunderbar.