Wildes Abschweifen

Eigensinnig, fantastisch, aber ohne Masterplan: Norbert Zähringer schlägt in seinem Roman „Als ich schlief“ all zu viele Kapriolen

Man könnte meinen, Norbert Zähringer leide unter einer gewissen Entscheidungsschwäche. Kaum hat man sich an eine seiner Romanfiguren und ihre Geschichte gewöhnt, kaum ist das Interesse geweckt, schon verschwindet diese Figur und taucht nicht mehr auf, schon kommt die nächste. Es ist wie Zappen: Der eine Film gefällt wegen der Dialoge, der andere wegen der Frisuren, und zwischendurch schaut man kurz N24.

Dieses Umschalten, das wilde Anreißen und Abschweifen, das barocke Nebeneinandererzählen und Verschränken vieler verschiedener, grotesker Geschichten: Zähringer hat dieses Stilelement zu einem festen Stilmittel entwickelt. Hier ist alles erlaubt: umständliche Schachtelkonstruktionen, endlos gereihte Relativsätze, manierierte Binnenreime wie „Lachen“ und „Krachen“, Redundanzen, Kalendersprüche und andere billige Tricks. Doch war man bei Zähringers 2001er-Romandebüt „So“ noch erfreut und belustigt über so viel vitale, rasante Abweichung vom braven Auserzählen seiner jungen Kollegen, so wirkt das alles in „Als ich schlief“ eher kunsthandwerklich ermüdend.

Erzählt werden, wie gesagt, viele Geschichten, die mit Mühe und Not das hochbrisante Oberthema Terrorismus teilen. Hier mal ein paar davon: Paul Mahlow ist ein typischer Berliner Hänger, der irgendwann in den Achtzigerjahren irgendwas studiert, viel Judo trainiert und sich über die feministischen Anliegen seiner Vermieterin und das verwinkelte Hochbett seines jungen, schwäbischen, politisch engagierten Mitbewohners Gonzo amüsiert.

Eine andere Geschichte: Ismael, ein Junge aus irgendeinem bitterarmen afrikanischen Land, fällt bei einem missglückten Terroranschlag aus dem Flugzeug und Paul vor die Füße und wird sich fortan zu erinnern versuchen.

Dann gibt es noch die Geschichte von Alp, dem Mitbewohner Pauls, der weniger Schwierigkeiten mit seinem Gedächtnis hat als Ismael: Er bekommt bei einer Demo einen Stein an den Kopf, fällt ins Koma und ist von da an der allwissende Erzähler. Durch ihn erfährt man, wie es mit Paul und Ismael weitergeht, und er erzählt von seiner eigenen persischen Herkunft und seinem deutschen Großvater mit den eisblauen Augen, der vor 1945 grausame Menschenexperimente durchführte. Man liest von seinen verbrecherischen Versuchen in Sibirien, von seiner Flucht durch die Wüste und von seiner Ankunft in der Raketenforschungsstation White Sands in New Mexico.

Man ist also angespitzt, neugierig, will mehr erfahren – und schon kommt einem wieder Norbert Zähringer mit seiner Sucht nach Geschichten, seiner Lust am Zufall und am Lenken dieser Zufälle dazwischen. Irgendwann fragt man sich: Was ist das nur für ein eitler Erzähler? Warum kann er sich nicht mal unsichtbar machen oder wenigstens die Zügel locker lassen? Nicht nur fühlt man sich selbst bevormundet, man hat auch das Gefühl, Zähringer spielt mit seinem Personal und nimmt seine Helden nicht ernst. Zunehmend wähnt man sich in einem Kuriositätenkabinett, wo es zwar schrill zugeht, aber wenig hängen bleibt. Und man beginnt sich nach diesen Romanciers zu sehnen, die immer wieder in Interviews davon berichten, wie sie im Laufe eines Buches die Kontrolle über ihre Helden verlieren und am Ende um sie weinen, wenn sie sie sterben und auf andere Art verschwinden lassen müssen.

Norbert Zähringer ist ein sehr eigensinniger Erzähler, und er hat eine tolle Fantasie, um die ihn sicher viele seiner Kollegen beneiden werden. Deshalb ist es ja auch so schade um diesen Roman: Man wünscht sich, dass er sich zu einer einzigen Geschichte hätte durchringen können, dass er eine so richtig erzählt hätte, ganz bieder, von Anfang bis zum Ende und ohne schmucke Kapriolen. Dann wäre vielleicht auch diese Sache mit dem Terrorismus nicht so ungeheuer egal. SUSANNE MESSMER

Norbert Zähringer: „Als ich schlief“. Rowohlt Verlag, Reinbek 2006, 287 Seiten, 19,90 Euro