bücher für randgruppen
: Gedichte jenseits des Kanons von Rosa von Praunheim, Thomas Knoefel und Friedrich Schröder-Sonnenstern

Der Schriftsteller Mark Simpson, der einst David Beckham als metrosexuell „outete“, konnte nicht ahnen, dass seine ironisch eingesetzte Wortschöpfung einige Zeit später in den Boulevardmedien zum Beweis einer neuen Männlichkeit herangezogen werden sollte: Der moderne Mann lackiert sich die Fingernägel, trägt einen Reif im Haar – und ist trotzdem nicht schwul. Ja, seine Maskerade sei lediglich ein Trick, um besser an das Objekt Frau heranzukommen. Ein Blick in die Natur beweist: Gegen die Papageienfische (Scarinae) ist das gar nichts. Dort können sich aus einem grauen Weibchen farbenprächtige Supermännchen entwickeln, die sich auch noch Haremsweibchen halten.

Diese Metamorphosen finden in einer moral- und kanonfreien Zone statt – genau der Region, in der Rosa von Praunheim wirkt. Er „legt Gedichte wie Eier“, ganz automatisch, so legt es jedenfalls der Klappentext seines Gedichtbandes „Mein Armloch“ nah. Deutschlands berühmtester Schwulenaktivist verwandelt sich dafür nicht in ein Huhn, sondern in einen Hasen, genauer: einen Osterhasen. Listig präsentiert er seine „Naturprodukte“, die trotzdem in grellen, ja künstlichen Farben leuchten. Doch Rosas Eier wollen gegessen werden. Ihr Gehalt, ihr unvergleichlicher Geschmack, ja ihre Wahrheit verbirgt sich unter der grellen Kalkkruste. So zwingt von Praunheim als Professor für Film inzwischen Studenten, seine Reime, Elfchen und Strophen vorzutragen. Eine Art Initiationsritus – der die Grausamkeiten des Apfelkuchenessens genauso berücksichtigt wie das Leuchten der Tomate. Nur die Tomate versteht dich. Sogar wenn du einsam bist und ohne Geld und Verstand. Ein schamloser Gedichtband – voller Liebe, Lust und Zärtlichkeit. Und alles ohne Haarreif und lackierte Fingernägel. Zauberhaft!

Auf mokkafarben gerastertem, mit filigranen roten Linien verziertem Grund führt uns der Autor Thomas Knoefel durch die Welt der Philosophie, der Kunst und der Erotik. In fünf Kapiteln werden Fragen nach dem Puff Eden uff Erden, nach Heidegger light und dem einfach gereimten Delirium angerissen. Es implodiert und explodiert. Knoefels Gedichte sind Resultate seiner Nichtbegabung. Jahrelang habe er, so Knoefel, intensiv Dichtungen produziert, um schlussendlich zu der Erkenntnis zu gelangen, kein Talent zu haben. Das Resultat dieser Erkenntnis ist dieser feine Gedichtband.

Ein Werk, in dem sich „Reim“ auch mal auf „unrein“ reimt. Und wo die Wahrheit als rohes Ei auf die Erde fällt. Das ist schön und regt an! Das Wort Moral ist ein „Singularetantum“, ein Wort, zu dem kein Plural existiert. Der Maler und Zeichner Friedrich Schröder-Sonnenstern gilt neben Adolf Wölfli zu den bekanntesten Vertretern der „Art brut“. Nach Internierung in einer Irrenanstalt in den 20er-Jahren, da er als Sonnenkönig Eliot I und Führer einer Sekte wirkte, überlebte Schröder-Sonnenstern die Kriegszeit und begann in den 50er-Jahren zu zeichnen. Er starb 1982 hochbetagt in Berlin und hinterließ unzählige wunderschöne Bilder und Texte. Seine Gedichte haben das Singularetantum durch Spaltung pluralisiert. Fast jedes Gedicht trägt Moral im Titel: Das Moraluniversum spaltet sich vom moralischen Misthaufen bis hin zur moralischen Mondgeistpartei. Doch der Kampf von Schröder-Sonnenstern gegen Reglementierung und Normierung des Individuums ließ ihn nicht verbittern: „Da wird Herr Pup dann abgeführt und in seiner Zelle isoliert.“ Herausgeben von Galerist Jes Petersen (2. 11. 1936 bis 2. 4. 2006): fabelhafte Litaneien der Aufklärung, Zersetzung und Fröhlichkeit vom allerallergrößten Dichter der Weltgeschichte. WOLFGANG MÜLLER

Rosa von Praunheim: „Mein Armloch“. Martin Schmitz Verlag, Berlin 2002, 120 Seiten 14,50 Euro Thomas Knoefel: „Monomania“. Revolver Renegat, Frankfurt 2004, 96 Seiten, 19,90 Euro Friedrich Schröder-Sonnenstern: „Seelenerkennungsdienst“. Pamphlete 13, BasisDruck, Berlin 2006, 108 Seiten, 12,50 Euro