DER „KOMPROMISS“ IN DER METALLINDUSTRIE NUTZT DER GEWERKSCHAFT
: Rein in die Betriebe

Nach Tarifabschlüssen gibt es weder Sieger noch Verlierer. Besagt die Legende. Und so sagte es auch IG-Metall-Chef Jürgen Peters nach der Einigung in Nordrhein-Westfalen. Denn wenn sich Gewerkschafter und Arbeitgeber 18 Stunden durch die Nacht kämpfen und verhandeln, dann hat am Ende ein „Kompromiss“ zu stehen. In diesem Falle heißt das freilich nur, dass den Arbeitgebern ein teurer Streik erspart bleibt. Ansonsten hat sich die IG Metall durchgesetzt – in fast allen Punkten.

Bei der Lohnerhöhung steht die gewünschte Drei vor dem Komma. Sie markiert das Ende der Lohnzurückhaltung der Gewerkschaft in den vergangenen fünf Jahren. Auch zwei von den Arbeitgebern gekündigte Tarifvereinbarungen werden wieder eingesetzt: Die vermögenswirksamen Leistungen werden zu einem Rentenbaustein umgebaut, die Steinkühler-Pause bleibt erhalten. Und es gibt einen neuen bundesweiten Tarifvertrag mit Anspruch auf Weiterbildung der Beschäftigten – auf Wunsch der IG Metall. Den Arbeitgebern bleibt nur die betrieblich verhandelbare Einmalzahlung. Erstmals können Betriebsräte und Geschäftsführung Lohnbestandteile aushandeln. Autonom, ohne Zutun der Gewerkschaftszentrale.

Das ist tatsächlich ein Tabubruch der IG Metall. Aber eine Niederlage ist es nicht. Denn der Tabubruch hat Strategie. Es geht um das Verhältnis von Zentralismus und Dezentralisierung gewerkschaftlichen Handelns, um das Verhältnis von Gewerkschaftszentrale und den Betriebsräten und Vertrauensleuten. Spätestens nach der Streikniederlage 2003 im Osten, als die Zentrale die 35-Stunden-Woche „von oben“ durchsetzen wollte, spätestens mit den Mitgliederverlusten der vergangenen Jahre, wurde klar, dass die Kluft zu groß wurde.

Es ist kein Zufall, dass NRW-Bezirksleiter Detlef Wetzel den Pilotabschluss aushandelte. Einer, der die IG Metall weniger als ideologische Kampftruppe denn als Service- und Beratungsstelle definiert. Einer, der mit dieser Idee Mitgliederzuwächse verzeichnet. Die Verbetrieblichung von Teilen der Tarifpolitik nutzt der Gewerkschaft – weil sie die Multiplikatoren vor Ort in die Verantwortung nimmt. Die IG Metall hat wirklich einen sehr guten „Kompromiss“ ausgehandelt. THILO KNOTT