Nix kapiert?

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt widmet sich der „Jugend von heute“ – 150 Werke bilden diverse Jugendkulturen ab. Die Stimmung: no future und no Inhalte, Orientierungslosigkeit in der Pluralität

Die Ausstellung präsentiert Jugend vor allem als kauffreudige Kids, als Zielgruppe der Werbeindustrie

VON HORTENSE PISANO

Das perlt ja ganz schön. Tropfen eines verschüttenden Bieres flirren in Zeitlupe durch die Luft. Die Party ist im Gange. Es wird getanzt, auffallend viel Bier getrunken. Mehr tut sich nicht in Liisa Lounilas Video „Play“, 2003 auf der Biennale Venedig und nun in der Frankfurter Schirn gezeigt. Hat die 1976 geborene finnische Künstlerin ein Zeitbild ihrer Generation einfangen wollen oder bestehendes Material verarbeitet? Schwer zu sagen. Die Jungs tragen Trainingsjacken in Orange, unifarbene Shirts und Frisuren wie Mods, die Mädchen glitzernde Gürtel zu den Jeans. „So war es immer und so wird es bleiben / Sie lassen sich treiben und haben Spaß dabei“, möchte man Jochen Distelmayers Songzeile aus die „Jugend von heute“ der Partyszene zurufen. Deren Erstarrtsein (in die jugendlichen Rituale) ermöglicht ein technisch relativ neues Time-slice-Verfahren. Lounila hat die Matrix auf eine Fete verlagert, der Effekt gleicht dem Kinofilm: Während die Kamera Bewegung im Raum erzeugt, verharren die Jugendlichen in ihrer augenblicklichen Aktion.

Lounila inszeniert die „Jugend von heute“ – ihr widmet die Schirn zur Zeit eine gleichnamige Ausstellung – als sinnentleertes Possenspiel. Die Arbeit „Play“ lässt gleich zu Beginn erahnen, was Kurator Mathias Ulrich als Phänomen seiner Generation beschreibt: „Die großen Kämpfe gegen die Eltern, gegen politische Systeme sind vorbei.“ Seit Teens in den Fünfzigern begannen, ihre Mode, Musik und Sprache selbst zu kreieren, war die Revolte stets ein zentraler Bestandteil der Jugendkultur. Die Revolte habe sich ins Private verlagert, erklärte Ulrich sein Konzept. Was bleibt da noch an Aktion? Sich mit Popcorn zu bewerfen wie in Lounilas zweitem Video?

Die Schirn erinnert im ersten Ausstellungspart „Politik / Revolution“ zunächst an alte Vorbilder. Geschützt hinter Glas steht Gavin Turks „Che“-Figur. Bjarne Melgaards Affenmensch aus Bronze, vermutlich eine „Star Wars“-Reminiszenz, darf Che den Mittelfinger entgegenstrecken – keine Lust mehr auf Rebellion. Allerdings gewinnt man den Eindruck, mit den Ikonen habe die Jugend gleich alle Inhalte begraben. Im angrenzenden Part „Existenz / Sein“ surfen die Teens auf der Oberfläche der Schönheitswelle. Während Anuschka Bloomers und Niels Schumms Mädchenporträts „Class of 1998“ edel und ausdruckslos dreinschauen, wirken die Wild-Girls-Posen (Kippe im Mundwinkel, knappe Jeans) auf Joe Andoes Bildern wie lässige Rock-’n’-Roll-Attituden – abgeschaut in Filmen, Musik- oder Werbeclips.

Dass die Jugend in der Schirn kein gutes Bild abgibt, stattdessen wie auf Hannah Starkeys Fotografie leicht bekleidet, betrunken und apathisch dargestellt wird, liegt weniger an der schwierigen Phase der Selbstfindung. Die Ausstellung operiert zu sehr mit medialen Rollen und spiegelt damit, was Konsens ist: dass Jugendkultur eng mit der Kulturindustrie verzahnt ist. „Jugendkultur entwickelte sich zu einem Investitionsschwerpunkt“ und das wichtigste Identifikationserlebnis bestehe im „Konsum“, stellte der Kunstprofessor Walter Grasskamp schon Mitte der Neunziger fest. Zwar bleibt die Handy- und mp3-Generation vor der Tür, doch die Ausstellung präsentiert die Jugend vor allem als Zielgruppe der Musik- und Werbeindustrie.

Konsum macht auch nicht glücklich, wie Alex McQuilkins bereits legendäres Video „Teenage Daydream. In Vain“ zu Verstehen gibt, indem sich die Künstlerin schminkte und dann herausgeputzt mit blutverschmierten Pulsadern filmte. Damit kommt McQuilkin, Jahrgang 1980 und eine der Jüngsten der meist in den Siebzigern geborenen Künstler, dem ambivalenten Zustand der Jugend ziemlich nahe. Die Bereitschaft zur Grenzüberschreitung bis zur Gewalt am eigenen Körper ist kein neues Phänomen der Jugendkultur. Belauscht man die Gruppe Teenager, die in Julika Rudelius’ Video über süße Mädchen reden und jene, mit denen man vorgibt, richtigen Sex zu haben, wird klar, dass Jugendlichen heute schon sehr früh sexuelle Erfahrung zugesprochen wird.

Jungs, deren Lieblingssport im Mädchenverführen besteht und die einzig der befahrene Raum ihres Skateboards interessiert, das klingt nach Larry Clarks Filmporträt über New Yorker „Kids“. Dass Skateboarding, wie Clark es damals ausgiebig zeigte, etwas mit Aneignung von Raum zu tun hat, vermittelt Alex Morrisons Video über das Kitchenskaten nur wenig. Auch den Umstand, dass Graffiti nicht als Dekor auf ein Bild, sondern direkt auf die Wand gesprüht gehört, haben die Ausstellungsmacher nicht verstanden. Die Jugend ist „ein schwer zugänglicher Ort, der sich gegen bestimmte methodische Zugangsweisen sperrt“, verweist Autor Helmut Hartwig in „Dürfen Jugendforscher altern?“ auf einen grundsätzlichen Konflikt. Die Schirn macht zwar nicht den Fehler, die Ausstellung selbst für Teil der Jugendkultur zu halten. Das Abbilden verschiedenster Szenen entgeht einer Verallgemeinerung aber nicht und bedeutet zugleich eine methodische Zuweisung. Die Jugend von heute ist schlicht zu jung, um zum Schaustück einer Ausstellung zu werden. Dort, wo sonst der DJ seine Plattform hat, bleibt der Platz wie in Frédéric Posts Installation „Le Disquaire“ leer. Die Jugend wird in der Schirn zu einer schön getunten Partygeneration. Als seien Jugendliche in Paris nicht erst für eine bessere Jobsituation auf die Straße gegangen. Was die Zukunft der Kids bringt, diese Probleme lässt die Frankfurter Schau außen vor.

bis 25. Juni. Katalog: Verlag Buchhandlung Walter König, 250 S., 29,80 €