Die Bücherkiste für Millionen

Grundsteinlegung für den neuen Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den Linden. Es ist der Startschuss für das derzeit teuerste Projekt des Bundes in der Stadt und zur Zusammenführung und Neuordnung der lange geteilten Bibliothekslandschaft Berlins

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Nicht wenige seiner großen Bauvorhaben in Berlin hat der Bund regelrecht zum Event erhoben. Seine mächtigste und zugleich teuerste Baustelle in der Stadt sieht man jedoch nicht: die Sanierung und Neugestaltung der Staatsbibliothek an der Straße Unter den Linden. Hinter der wilhelministischen Fassade von 170 mal 107 Metern Länge wurde gestern in dem entkernten Innenhof der Grundstein des neuen Lesesaals gelegt – der Beginn für die umfassende Rekonstruktion und Erweiterung des Hauses.

Trotz des versteckten Projekts, der Unaufgeregtheit dazu in der Öffentlichkeit und beim Geldgeber ist das Bauvorhaben ein Projekt der Extreme: Rund 326 Millionen Euro kostet das neue Bauwerk des Architekten H. G. Merz. Insgesamt 463 Millionen Euro sind zur Gesamtsanierung der Staatsbibliothek veranschlagt. „Das ist das teuerste Bauvorhaben der Republik“, befand einmal Florian Mausbach, Chef des Bundesamtes für Bauwesen. Vergleichsweise billig kam mit 225 Millionen Euro das Kanzleramt, 300 Millionen kostete der Reichstagsumbau samt Kuppel. Nur der Wiederaufbau des Stadtschlosses könnte die Bibliothek toppen – dafür sind rund 670 Millionen Euro veranschlagt.

In Reichstags- oder Schlossgröße geraten auch die Dimensionen des Umbaus. Der Kubus inmitten des Blocks für den monumentalen Lesesaal wird 36 Meter hoch, 30 Meter breit und 35 Meter lang sein, gekrönt von einer leuchtenden Glaskappe. Acht Stockwerke unter dem neuen Lesesaal werden künftig in Magazinen und Tresoren die Bücher, wichtige Dokumente und Handschriften aufbewahrt – darunter etwa die zu Beethovens 9. Sinfonie und Mozarts „Zauberflöte“.

2008 ist geplant, den Lesesaal zu eröffnen. 2012 – dann ist das Haus eine der größten General- und Forschungsbibliotheken der Welt mit drei Millionen Werken – soll die Gesamtanlage fertig gestellt sein und wird, gemeinsam mit der „Stabi“ am Kulturforum als zweitem Haus, über 10 Millionen Bücher beherbergen.

Den großen Lesesaal samt seinen 250 Leseplätzen inmitten der dreistöckigen Galerie für 350.000 Bände der Freihandbibliothek hat Merz in Holz und Glas entworfen. Gerahmt wird der Hauptsaal ebenso aufwändig von sechs weiteren Lesesälen für Handschriften, Karten, Zeitungen und Kinderbücher. Hinzu kommen in dem Bücherkosmos ein Museum, Internet- und Forschungsarbeitsplätze, Werkstätten, Büros und eine neue Buchtransportanlage.

Der einst achteckige Lesekuppelsaal war 1943/44 durch Kriegsbomben schwer beschädigt worden. Er wurde später abgerissen und zu DDR-Zeiten durch Magazintürme ersetzt. Mit dem Beginn des Lesesaalneubaus erhält der Koloss neben der Humboldt-Universität nun seine bauliche und funktionale Mitte zurück. Durch den 7.000 Quadratmeter großen Raum im Hof kommt auch die lange gesuchte Perspektive für die Neuordnung der Bibliothekslandschaft nach dem Krieg in Berlin in greifbare Nähe. Als „wichtigste Baustelle Berlins“ bezeichnete Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung unter diesem Gesichtspunkt das Projekt.

Es ist eine späte, aber reale Perspektive, mit der letztlich die Spaltung der Stadt, der beiden Häuser und ihrer Millionen Benutzer überwunden werden kann. Die im Westen von Hans Scharoun errichtete Staatsbibliothek am Potsdamer Platz wird sich mit der „Stabi-Ost“ die Bestände teilen: die historische Forschungsbibliothek bis 1900 Unter den Linden und die Bibliothek der Moderne ab 1900 in der Potsdamer Straße.