DIENSTLEISTUNGSRICHTLINIE: WILLEN DER EU-PARLAMENTARIER IGNORIERT
: EU-Verträge erlauben die Attacke

Macht es einen Unterschied, ob jemand Arbeitslosigkeit absichert oder Erlebnisreisen anbietet? Ob jemand eine Drogenberatungsstelle betreibt oder Schnaps verkauft? Nicht den geringsten, sagt die EU-Kommission. Damit führt sie durch die Hintertür die Bolkestein-Richtlinie wieder ein.

Nach großen öffentlichen Protesten in Westeuropa und harten Auseinandersetzungen im EU-Parlament hatte eine Mehrheit der Abgeordneten sensible Bereiche wie Bildung und Gesundheit von der Dienstleistungsfreiheit ausgenommen. Damit sollte sichergestellt werden, dass der Staat derartige Leistungen bezuschussen darf, ohne Ärger mit dem europäischen Wettbewerbskommissar zu bekommen.

Die Mehrheit der EU-Kommissare aber glaubt, dass der freie Markt für das beste Angebot zum günstigsten Preis sorgt – auch wenn es um Altenpflege oder Kindergärten geht. Die derzeit geltenden EU-Verträge bieten neoliberalen Überzeugungstätern eine gute juristische Grundlage. Dem Europäischen Gerichtshof bleibt gar nichts anderes übrig, als Streitfälle in diesem Sinne zu entscheiden. Die Verfassung, die den Sozialstaatsgedanken auf europäischer Ebene gestärkt hätte, liegt auf Eis.

Wenn die Mitgliedsländer ihre Sozialsysteme retten wollen, müssen sie eine Richtlinie beschließen, die klipp und klar sagt: Hände weg von der Daseinsvorsorge! Das allerdings gelingt nur, wenn alle 25 EU-Staaten an einem Strang ziehen. Doch viele Länder, darunter Irland, Großbritannien und die osteuropäischen Staaten, sind fest davon überzeugt, dass der freie Markt ein Allheilmittel für alle Probleme ist. Sie haben die vom Parlament entschärfte Dienstleistungsrichtlinie ohnehin nur zähneknirschend akzeptiert.

Wie kann das EU-Parlament auf diese Provokation reagieren? Es sollte den Mut haben, in zweiter Lesung die Richtlinie abzulehnen. Öffentliche Proteste können diesen Entschluss nur befördern. Jetzt geht es wirklich darum, ein Europa nach dem Konzept von Ex-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein zu verhindern. DANIELA WEINGÄRTNER