Sie sind alle Helden

Während in den USA der Film „United 93“ startet, gibt es Streit um die Erinnerung an das vierte Flugzeug der Anschläge vom 11. September

„Es wäre komisch gewesen, wenn dieser Film nicht das Tribeca Filmfestival eröffnet hätte“, hatte Robert De Niro am Montag auf einer Pressekonferenz zum Festival-Start gesagt. Die Rede war von „United 93“, dem Film über das vierte am 11. September 2001 entführte und abgestürzte Flugzeug. Nach einem Gerangel zwischen Entführten und Entführern war das Flugzeug bei der kleinen Stadt Shanksville in Pennsylvania auf freiem Feld abgestürzt und hatte alle 33 Passagiere, sieben Crewmitglieder und die vier Entführer in den Tod gerissen.

Dort ist heute eine provisorische Gedenkstätte. Von einer Landstraße durch die Appalachen abbiegend, weisen handgemalte Holzschilder den Weg. Es geht durch eine Ansammlung weniger weiß gestrichener Holzhäuser, vorbei an der Straße mit dem befremdlich klingenden Namen „Crash Street“. Sie war schon vor dem Unglück hier. An dem Feldweg, der zur Absturzstelle führt, sammelt ein Altmetallhändler auf riesigen Halden Schrott. Dann stehen, mitten in einer Landschaft sanfter Hügel und einiger Kohlebagger am Horizont, von weitem erkennbar Dixiklos, eine kleine Holzhütte und ein hohes Metallgitter. Dort haben hunderte von Besuchern Baseballkappen, Fotos, Schlüsselanhänger, Stofftiere und Abzeichen ihrer Feuerwehr- oder Militäreinheiten angebracht. Daneben erwähnt eine Marmortafel, was hier am 11. September 2001 geschah.

Einige Parkbänke sind so aufgestellt, dass wer darauf sitzt, die Absturzstelle in einigen hundert Metern Entfernung beobachten kann. In der Ferne, dort wo das Cockpit gefunden wurde, weht eine amerikanische Flagge. Der Wind weht scharf durch die Landschaft. Die Besuchenden kommen im Minutenrhythmus, schweigen, schauen, beten, blicken in die Ferne und steigen wieder in ihre Autos.

Geht es nach dem Wunsch der amerikanischen Regierung und der Angehörigen der Abgestürzten, soll hier bald eine offizielle Gedenkstätte entstehen. Eine 58 Millionen US-Dollar teure Anlage. Davon sollen 30 Millionen aus privaten Spenden finanziert werden – 10 Prozent des Erlöses aus dem Tribeca Filmfestval sollen zum Beispiel in diesen Fonds fließen. Doch es gibt Widerstand: Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im US-Kongress, Charles Taylor, ein Republikaner, blockiert seit zwei Jahren das Budget für die Gedenkstätte. Er will nicht, dass der Staat zusätzliche Gedenkstätten errichtet.

Auch unter den Angehörigen gibt es Spannungen, die sogar schon zu einem handfesten Streit führten. Die Empfindlichkeiten drehen sich um die Frage, ob einige der Toten größere Helden waren als andere. Einige Familien begehrten schon früh gegen Versuche von Politikern auf, insbesondere die vier an Bord befindlichen Sportler zu ehren und mit Gedenken zu überschütten. Tatsächlich wird niemals mehr herauszufinden sein, wer der Mutigste und wer der Geschickteste dabei war, die Entführer von ihrem Vorhaben abzubringen. Nach der Flut bereits gedrehter „Flug 93“-Filme zeigten sich einige Familien enttäuscht darüber, dass die Normalos unter den Toten ignoriert worden seien.

Doch nicht alle Angehörigen wollen den Ruhm des Heldentums teilen. Bei einem Treffen aller mit dem Regisseur Paul Greengrass (der auch „The Bourne Supremacy“ drehte), meinte Alice Hoagland, die Mutter des getöteten Rugby-Spielers Mark Bingham, dass doch keineswegs alle Passagiere Helden gewesen seien, woraufhin andere Angehörige wutentbrannt den Raum verließen. Der Regisseur, der sich der emotional aufgeladenen Erwartungen bewusst war, entschied für seinen Film: alle vierzig waren Helden – jeder auf seine Weise.

ADRIENNE WOLTERSDORF