Verstaubt, der Traum

Von der Uran-Boomtown Nigers zum Flüchtlingsslum: In dem Dokumentarfilm „Arlit, ein zweites Paris“ erzählen die Bewohner von Aufstieg und Fall ihrer Stadt

Schon mit der ersten Einstellung wird die Ironie des Titels deutlich: „Bienvenue à Arlit“ begrüßt ein ausgeblichenes Schild am Ortseingang den Reisebus, der auf einer staubigen Straße endlose Reihen von Lehmhäusern passiert. Eine Weltmetropole sieht anders aus. Das hier ist nicht das Zentrum, sondern der vergessene Rand des Universums. Hinter dem auch noch die Wüste beginnt.

Einst war Arlit im Norden von Niger die Hoffnung von Tausenden. Als Anfang der Siebzigerjahre französische Investoren dort mit der Förderung von Uran begannen, wurden zunächst Arbeitersiedlungen, dann eine ganze Stadt aus dem Sandboden gestampft. Eine wahre Boomtown soll es damals gewesen sein, ein Eldorado für Vergnügungssüchtige, meint ein übrig gebliebener Einwohner. Damals entstand auch der Beiname „deuxième Paris“, der heute wie blanker Hohn wirkt. Als die Weltmarktpreise für Uran in den Keller gingen, brach mit dem Markt auch die Zukunft des Ortes zusammen. Die meisten der Arbeiter wurden entlassen. Im Schicksal der Stadt spiegelt sich das des Landes: Denn nach wie vor ist Uran das Hauptexportgut von Niger, mehr als ein Drittel des Staatseinkommens wird mit seinem Verkauf bestritten.

Die wahren Kosten der Uranförderung werden von niemandem gemessen. Lungenkrebs ist eine häufige Todesursache unter Minenarbeitern. Viele leiden unter Asthma. Das kommt vom radioaktiven Staub und den unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen, sagt ein Arbeiter. Das kommt von den vielen Zigaretten, sagt der Arzt. Wie alle Mediziner des Ortes steht er im Sold der Minenbetreiber. Immer wieder entsorgt die Firma kontaminiertes Altmetall, indem sie es an die Bewohner der Stadt verschenkt.

Nicht mal Geld für die Bar

Wer in der Mine keine Arbeit findet, verdient sich sein bisschen Geld auf andere Weise. Tuareg schleusen Emigranten durch die Sahara in Richtung Norden, in Richtung Europa. War Arlit einmal ein Schmelztiegel für Arbeitsuchende aus ganz Afrika, ist die Stadt heute vor allem Auffangbecken für Flüchtlinge. Die meisten von ihnen sind so arm, dass nicht einmal mehr die Bars Geschäfte machen. In einer davon stehen hinter einer Theke zwei Frauen vor einem leeren Regal und warten auf Kunden, die nicht kommen. Auch sie stammen beide anderswoher. Sofort würde sie in ihre Heimat zurückkehren, sagt die eine, aber das Geld für die Reise hat sie nicht. Der Stillstand beherrscht die Stadt und ihre Bewohner.

Regisseur Idrissou Mora-Kpai lässt in Interviews die heutigen Bewohner vom Fall einer Stadt erzählen, die einmal die Moderne versprach. Wie unter einem Brennglas versucht der Film, die großen Vektoren des verpassten Anschlusses zu bündeln: die Abhängigkeit vom Weltmarkt, die ausbeuterischen Praktiken eines Monopolisten, die globalen Topografien der Flüchtlingsströme. Bei solch einem Konzept musste vieles Stückwerk bleiben. Eine Vermittlung zwischen den persönlichen Biografien und dem großen Globalisierungsganzen stellt sich nur gelegentlich ein. Aber noch in der Skizze bleibt der Eindruck, dass an diesem Ort der Traum eines ganzen Kontinents zu Grabe getragen wurde.

DIETMAR KAMMERER

„Arlit, ein zweites Paris“. Benin/Frankreich 2005, 78 Min.; fsk