„Mir geht es nicht um Natur“

„Ich singe, was ich sehe“: Jochen Distelmeyer ist der Sänger der Hamburger Band Blumfeld, die mit „Verbotene Früchte“ heute ihr neues Album veröffentlichen. Ein Gespräch über Einflussangst und Folkmusik, Tierschutz und politische Militanz

INTERVIEW MAX DAX

taz: Jochen Distelmeyer, auf dem neuen Blumfeld-Album „Verbotene Früchte“ finden sich Lieder über die Natur und über die Tiere, über den Fluss und über den Schmetterling. Man könnte meinen, es handelte sich um Schlaflieder – oder Kinderlieder.

Jochen Distelmeyer: Nein. Handelt es sich nicht. Eher schon um das Aufgreifen einer Tradition. Wir haben früher schon, etwa auf „Testament der Angst“, mit dem „Abendlied“ ein Lied von Hans-Dieter Hüsch aufgenommen. Dieser Background einer Song- und Liedkultur ist für mich immer schon ein interessantes Feld gewesen.

Aber warum so viele Lieder über die Natur?

Thematisch könnte man das natürlich denken. Aber mir geht es nicht um Natur. Ich weise auch den Begriff Naturlyrik weit von mir und den Stücken. Auf „Testament der Angst“ gibt es das Lied „Der Wind“. Auf „Jenseits von Jedem“ findet sich „Der Sturm“. Live haben Blumfeld den Song „Der Sturm“ mit der Zeit immer lautmalerischer gespielt. Bei dem 6/8-Takt von „Der Fluss“ auf unserem neuen Album habe ich ganz lautmalerisch einen Fluss fließen sehen.

Droht das Vermächtnis von Hüsch und Degenhardt in Vergessenheit zu geraten, dass da einer anknüpfen muss?

Sicherlich knüpfe ich nicht bewusst daran an. Mir geht es eher um eine Dichte, die aus Text und Musik entstehen kann. Der schwere Gang in einem neuen Stück wie „Schnee“. Oder die flatternde Leichtigkeit in „Schmetterlingsgang“, die getragen wird von Akustikgitarren und den Ragas der Sitar. Ich singe, was ich sehe. Nicht nur inhaltlich auf textlicher Ebene, sondern auch musikalisch. Anders gesagt: „Der Apfelmann“ (ein Songtitel, Red.) will für jeden Baum das Beste. Egal, ob er nun von atonaler Musik, Blues oder Rock begleitet wird. Das beschäftigt mich. Das finde ich interessant. Man kann alles besingen.

War es also kein Zufall, dass Blumfeld, um ihr neues Album aufzunehmen, ausgerechnet in das Ougenweide-Studio gegangen sind? Immerhin entstammen Ougenweide der gleichen Generation wie Hüsch und Degenhardt.

Ich bin nie ein totaler Fan von denen gewesen. Aber als ich damals nach Hamburg gezogen bin, hat man mir gleich zu Anfang gesagt: Hier gibt es an jeder Ecke Tonstudios. Und eines der Ersten, das ich damals wahrgenommen hatte, war das Ougenweide-Tonstudio. Das lag ganz in der Nähe meiner damaligen Wohnung in einem gelben Hochhausbau an den Elbbrücken in Rothenburgsort.

Ein angenehmer Ort?

Die haben dort ein tolles Musik- und Instrumentenarchiv. Ich finde es rückblickend interessant, wie Ougenweide in den Siebzigerjahren den New Folk ins Deutsche übersetzt haben. Also, diese typisch englische Mischung aus Blues, Folk und Folklore, gespielt von Bands wie Pentangle, Fairport Convention, von mir aus auch Nick Drake. Ougenweide standen für eine Art bundesrepublikanischen Versuch, mit der gleichen Technik wie sie die Engländer angewandt haben, zu einem hiesigen Ergebnis zu gelangen.

Und „Verbotene Früchte“ war mit seinen Natursongs in diesem Sinne das richtige Album, um im Geist von Ougenweide zu erklingen?

Ja, genau. Im Übrigen ist es so, dass Popmusik heutzutage – wie Rock und Hiphop auch – längst den Status einer weltumspannenden Folkloremusik hat. Es ist zu beobachten, wie andere Künstler sich ihr Image zusammenbasteln, indem sie etwa den Sound von Simon & Garfunkel mit dem Hippiekommunen-Image der Incredible String Band zu kreuzen versuchen. Das sind so clevere Entwürfe, immer absonderlichere Nischen zu finden und zu besetzen. Aber so war es bei uns nicht, ist es nie gewesen. Unser Songwriting hat schon immer auf Folk, Blues und Country basiert. In diesem Sinne war es eine sehr dankbare Situation, dass wir im Ougenweide-Studio haben aufnehmen können, denn die Betreiber, die beiden Brüder Frank und Stefan Wulff, kannten Blumfeld gar nicht. Wir konnten, von äußeren Einflüssen gänzlich unbelastet, unserer Arbeit nachgehen. Wir hätten vermutlich ins Ausland fahren müssen, um eine vergleichbare, für uns angenehme Situation zu finden – eine Situation nämlich, in der man uns und unsere Geschichte nicht kennt.

Unbelastet? Dabei stammt von Ihnen der Satz: „Das ist die Welt, in der ich mich aufhalte: Musik, Filme, Literatur, Freunde.“ So ein Zeichenuniversum voller Referenzen und Querverweise, das Sie auf einigen Ihrer Plattenhüllen sogar mit Bildern illustriert haben, ist nicht unbelastet: Da gab es Fotos von Eddie Constantin in Godards „Alphaville“ oder Special Agent Cooper aus „Twin Peaks“.

Klar, solche Bilder zeigen einen Ausschnitt einer Umgebung.

Reihen Sie sich ein in die Galerie der Bilder?

Nein. Ich dachte, ich hätte das in der Vergangenheit auch klargestellt mit dem Song „Jenseits von jedem“. Die Welt, die da beschrieben wird, mit ihren archetypischen Mythengestalten und den Spitznamen meiner Freunde und Bekannten und in Abgrenzung zu Techniken, wie sie Bob Dylan benutzt hat, ist ja die Welt jenseits von mir oder dem Sänger. Der da „ich“ sagt, verortet sich ja jenseits von allen genannten Dingen.

Sie versuchen kein Bestandteil zu sein?

Es gibt ja die Theorie, dass man als Autor Einflussangst haben kann. Diese Angst ist mir aber fremd. Der Grund, warum ich Musik mache, ist ein anderer, als irgendwann in irgendeiner Ahnengalerie zu enden.

Das Gegenteil von Angst ist Mut oder Optimismus. Warum ist „Verbotene Früchte“ so optimistisch und zuversichtlich ausgefallen?

Ja, keine Ahnung. Kann ich nicht sagen. Tut mir Leid. Ich glaube einfach, dass die weit verbreitete Hörigkeit gegenüber der Stärke und der Kraft ein gigantischer Aberglaube ist.

Blumfeld galten immer als politische Band. Angefangen bei der Herausgeberschaft der Zeitschrift Unterhaltung über die so genannten Wohlfahrtsausschüsse bis hin zu Solidaritätskonzerten, die Blumfeld für Rassismusopfer gegeben haben. Ist die neue Platte ein Rückzug in private Weltbetrachtungen?

Ich habe Blumfeld nie als politische Band mit Ansage gesehen. Jeder von uns, und ich von mir aus im Besonderen, nimmt sich als politisches Individuum wahr. Aber wir als Band verorten uns nicht in der Tradition von zum Beispiel Ton, Steine, Scherben, die eine klare inhaltliche Positionierung innerhalb einer Bewegung innehatten. Uns ging’s und geht es immer um die Musik und um die Songs. Aber natürlich geht es auch darum, aufzuzeigen, dass früher oder später jede noch so komplexe Thematik, die in Stücken verhandelt wird, eine politische Dimension innehat. Wenn man über das Wetter singt, hat das in diesem Sinne auch eine gewisse politische Dimension. Denn ich kann meine Augen ja nicht vor gesellschaftlichen Entwicklungen verschließen.

Nennen Sie mal ein Beispiel, auf Ihre neue Platte bezogen.

Zum Beispiel der Song „Tiere um uns“ …

in dem es heißt: „Tiere um uns haben natürliche Feinde / Das was sie bräuchten, wäre manchmal ein Freund“ …

… ist ein Gegenpol zu P.E.T.A. und deren Tierschutzverständnis. Der Song grenzt sich ab von den unsäglichen, Holocaust verharmlosenden Fotoanzeigen der Organisation, in denen Kühe in Waggons gleichgesetzt werden mit Holocaust-Opfern. Deshalb ist es mir wichtig, zu singen: „Tiere sind keine besseren Menschen.“ Damit mache ich zugleich klar, dass sich eine solche Organisation gar nicht erst die Mühe machen muss, bei mir anzurufen, ob sie den Song für irgendeine Kampagne benutzen darf. Das ist eine Frage der persönlichen Verantwortung, eine Frage der Genauigkeit. „Tiere um uns“ ist kein Vegetariersong und auch kein Veganersong.

Das klingt natürlich trotzdem nach einer ganz anderen Position als vor 15 Jahren, wo Sie sich noch an dem Verhältnis zwischen Individuum und Staat abgearbeitet haben.

Ich möchte wie immer als politisches Individuum antworten: Man kommt so oder so, auch in der politischen Arbeit, um die Frage von Stärke und Gewalt nicht herum. Man kann die politische Situation derzeit so sehen, wie ich es in dem neuen Song „Tics“ beschreibe: Eben dass man sich nicht mehr so sicher sein kann, ob der demokratische Konsens oder das Vertrauen in parlamentarisch-demokratische Abstimmungsergebnisse und die Politik, die aufgrund dieser Voten geführt wird, ob dieser Konsens wirklich noch so verbreitet ist.

Man sieht ja jetzt in Frankreich, wie die immer weiter Entrechteten und Atomisierten, die sich selbst und den Supernannys dieser Welt Überlassenen, wie die Hartz-IV- oder Hartz-IV-in-spe-Empfänger sich durch die Parteien nicht mehr vertreten fühlen. Nach meiner Auffassung hat diese Beobachtung nur fragwürdige und entschieden nicht wünschenswerte Konsequenzen. Entweder haben wir ein still vor sich hin hassendes Protestwählertum. Oder es gibt einen Zusammenschluss von Leuten, die mit der einzigen ihnen verbliebenen Kraft, nämlich ihrer körperlichen Kraft und Gewalt, auf die Straßen zieht. Das kann man Protestbewegung oder revolutionäre Bewegung nennen. Aber man muss ganz klar auch sagen: Es gilt das Recht des Stärkeren. Das Recht des Siegers gilt. Die Sieger dieser Klassenkämpfe schreiben die Geschichte, wie sie es schon immer getan haben – also das Proletariat oder der neue Markt.

Ich will mich hier entschieden nicht zu einem Befürworter einer militanten politischen Praxis machen, aber ich sehe gar keine andere Möglichkeit für die Leute, sich Gehör zu verschaffen, wenn sich die kapitalistische, globalisierte, ökonomische Ordnung irgendwann einmal endgültig durchgesetzt haben wird.

Ist das der Grund, einen Song wie „Tics“ als erste Single zu veröffentlichen? Damit man im Radio auf diese Thematik gestoßen wird?

Nein, es geht nicht darum Einfluss zu nehmen. Ich denke einfach, das der Song das Album gut widerspiegelt.