Verführung des gläsernen Kunden

Neuroökonomen versuchen herauszufinden, wie Werbebotschaften im Gehirn verarbeitet werden. Befürchtet wird, dass Werbetreibende die neuen Erkenntnisse dazu nutzen, uns Produkte anzudrehen, die wir eigentlich nicht gebrauchen können

VON CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Täglich sind wir allein in Deutschland rund 6.000 Werbekontakten ausgesetzt. Oder sind es sogar noch mehr? Stimmt es etwa, was Vance Packard in seinem Bestseller „Die geheimen Verführer“ bereits im Jahre 1958 behauptete? Dass die Einblendung von Coca-Cola- oder Popcorn-Bildern im Millisekundenbereich in Kinospielfilmen die Zuschauer zum direkten Konsum dieser Produkte verführt habe – obwohl die Marken für das Auge gar nicht mehr erkennbar gewesen waren?

Obwohl die Vermutung Packards bei den Experten jahrzehntelang umstritten war, verboten mehrere Staaten diese Art von Werbung. Erst diese Woche, so berichtet der New Scientist, gelang es erstmals einem niederländischen Forscherteam, nachzuweisen, dass die versteckten Werbebotschaften doch eine Wirkung haben. Testpersonen konnten durch eine bewusst nicht wahrnehmbare Werbung dazu gebracht werden, zu einer bestimmten Eisteesorte zu greifen. Voraussetzung war jedoch, dass das Grundbedürfnis Durst vorhanden war.

In dem neuen Forschungsgebiet Neuroökonomie, in dem Hirnforscher und Wirtschaftswissenschaftler zusammenarbeiten, wird man wahrscheinlich bald feststellen können, wie effektiv die verschiedenen Werbemethoden sind. Die Neuroökonomie forscht nicht mit Hilfe von Fragebögen oder Reaktionstests, sondern direkt da, wo die Reaktion auf ein Produkt entsteht: im Gehirn.

Hierzu wird der Konsument in einen Kernspintomografen gelegt. In einer Brille sieht er verschiedene Produkte, deren Attraktivität er einordnen muss. Gleichzeitig macht ein Kernspintomograf den Blutfluss in verschiedenen Bereichen des Gehirns sichtbar. So lässt sich eine aktive, stark durchblutete Hirnregion von nichtaktiven Regionen unterscheiden. Träumt der Konsument im Kernspintomografen beispielsweise von einem Produkt, das ihm gefällt, ist das Belohnungszentrum in seinem Gehirn besonders aktiv.

Das Forschungsteam um Christian Elger und Bernd Weber arbeitet im Life & Brain Center in Zusammenarbeit mit der Universität Bonn. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass es nicht allzu schwierig ist, Einfluss auf das Kaufverhalten zu nehmen“, sagt Weber. So untersuchte sein Team, was in den Köpfen von Konsumenten beim Anblick von Rabattsymbolen passiert. Hierzu schauten die Versuchspersonen im Kernspintomografen auf die verschiedensten Produkte wie beispielsweise Äpfel, Tomaten, Computer oder Autos. Kurze Zeit später erschien der Preis, und die Versuchsteilnehmer sollten entscheiden, ob sie das zuvor gezeigte Produkt kaufen wollten oder nicht. Bei einem Teil der Preise wurde neben dem Preis zusätzlich ein Rabattsymbol eingeblendet.

„Die Ergebnisse waren beeindruckend“, sagt Weber. „Im Gegensatz zur einfachen Preisangabe führten zusätzlich angezeigte Rabattsymbole zu einer signifikanten Aktivierung von Belohnungsarealen im Gehirn. Offenbar sind Rabattsymbole schon so tief in unser Gehirn eingebrannt, dass ihr Auftauchen Gefühle wie ‚Da kann ich ein Schnäppchen machen‘ weckt – ein Gefühl, das die Erwartung hervorruft, belohnt zu werden. Natürlich beeinflusst dies das Verhalten in Richtung Kaufentscheidung.“

Ein anderes Ergebnis zeigt, dass es bei einem Teil der Versuchspersonen zu einer gedrosselten Aktivität im Vorderhirn kam, sobald ihnen Rabattsymbole präsentiert wurden. Diese „kortikale Entlastung“ war ein Hinweis dafür, dass bei Rabattsymbolen „der Verstand ausschaltet“: Rabattsymbole setzen offenbar die Kritikfähigkeit herab, und man ist eher bereit, eine Kaufentscheidung zu treffen, die man sonst nicht treffen würde.

Dass sich die Menschen hierzulande noch immer weit enger mit der DM als mit dem Euro verbunden fühlen, zeigte ein weiterer Test. Wieder wurden Versuchspersonen im Kernspintomografen Produkte aus den verschiedensten Bereichen gezeigt und ein dazugehöriger Preis – und zwar entweder in DM oder in Euro. Die Versuchspersonen sollten dann sagen, ob der Preis passend oder unpassend (das heißt vierfach überhöht) war.

„Bei den Europreisen fiel die Entscheidung schwerer“, sagt Weber. „Die Versuchspersonen zeigten eine weitaus höhere Aktivierung in frontalen Hirnbereichen, was wir als erhöhte kognitive Anstrengung interpretieren.“ Es scheint also noch immer so zu sein, dass viele Menschen intern eher mit der alten DM als mit dem Euro rechnen.

Die Neuroökonomie hat bereits Ängste und Schreckensvisionen ausgelöst. Wird sie die Werbewirtschaft aus den Angeln heben? Kann sie die geheimsten Bedürfnisse der Menschen sichtbar machen – auf dass man ihn zielgerichtet zum Konsumenten macht? Doch so einfach ist es nicht. Oft ist es schwierig, eindeutige Ergebnisse zu bekommen. Häufig täuschen die Kernspinbilder auch eine Exaktheit vor, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Denn es wird kein neuronaler Prozess gemessen, sondern nur der Blutfluss im Gehirn. Und dieser ist nicht gleichzusetzen mit dem wirklichen Denkvorgang.

Hinzu kommt das Problem der Deutung. „Es gelingt uns bisher noch nicht einmal, die Grundlagen von Emotionen im Gehirn sicher voneinander zu unterscheiden“, sagt der Neurobiologe Henning Scheich vom Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie. So hat auch die Neuroökonomie bislang nur entdeckt, was die Werbewirtschaft längst weiß: Begehrte Marken sind auch im Gehirn begehrt.