Kassen ohne Klassen

Wer eine sozial gerechte Gesundheitsreform will, muss sich einer Kopfpauschale und dem Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags widersetzen. Nur so wird die Solidarität gewahrt

Die CDU-Pläne verschärfen die Gegensätze in der bereits existierenden Zweiklassenmedizin

Der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) fehlt Geld: Schon 2007 wird sie 7 Milliarden Euro zu wenig einnehmen; in den folgenden Jahren erwarten die Experten noch geringere Einnahmen. Mit Strukturreformen allein – die allerdings auch dringend notwendig sind – ist diesem Problem nicht beizukommen. Denn die Finanzbasis der Kassen ist einfach zu schmal geworden:

Die sozialversicherungspflichtigen Jobs nehmen ab, Löhne, Gehälter und Renten sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen, die Beitragszahlungen für Arbeitslose wurden gesenkt. Zudem verliert die GKV jährlich 150.000 Versicherte mit gutem Einkommen an die Private Krankenversicherung (PKV).

All das muss die Bundesregierung jetzt ändern. Und dazu ist sie auch bereit. Doch zu befürchten ist, dass sie das Finanzloch der gesetzlichen Kassen auf eine Weise stopfen wird, die das solidarische Gesundheitssystem in Frage stellt. Es sieht nämlich so aus, dass sich Union und SPD in ihren aktuellen Verhandlungen auf ein so genanntes Fondsmodell zubewegen. Nach allem, was bislang nach außen gedrungen ist, hieße das: Hier wird unter neuem Etikett eine Kopfpauschale eingeführt. Dadurch werden die steigenden Gesundheitskosten den Versicherten allein aufgebürdet und die gesetzlichen Kassen geschwächt. Es droht also eine weitere Einschränkung der Leistungen für Kassenpatienten und eine Verschärfung der bereits bestehenden Zweiklassenmedizin.

Das Fondsmodell sieht vor, dass die Krankenversicherungsbeiträge künftig nicht mehr direkt an die gesetzlichen Kassen fließen, sondern in einen Gesundheitsfonds. Gespeist wird dieser aus drei Quellen: den einkommensabhängigen Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern – Letztere will die Union einfrieren. Hinzu kommt eine neu zu erhebende Steuer. Aus dem Fonds sollen die gesetzlichen Kassen für jeden Versicherten eine Pauschale zwischen 150 und 170 Euro erhalten.

Denkt man hier weiter und berücksichtigt dabei die Details, die Unionsfraktionschef Volker Kauder jüngst in einem Interview verkündet hat, ergeben sich mindestens drei massive Probleme für ein sozial gerechtes Gesundheitssystem.

Problem Nr. 1 – auch eine kleine Kopfpauschale ist sozial ungerecht. Gesetzliche Krankenkassen, die mit den pauschalen Zahlungen aus dem Gesundheitspool nicht auskommen, sollen sich die fehlenden Mittel über eine Prämie von ihren Versicherten holen. Durch den medizinischen Fortschritt und die demografische Entwicklung wird dies bald bei allen Kassen der Fall sein.

Nur die Versicherten müssten also für die steigenden Gesundheitskosten aufkommen. Auf diese trickreiche Weise würde eine kleine Kopfpauschale eingeführt, aus der sehr schnell eine große werden könnte. Von einem sozialen Ausgleich ist bislang nicht die Rede. Einkommensschwache würden extrem belastet.

Die Arbeitgeber dagegen wären fein raus. Wird ihr Beitragsanteil zur Krankenversicherung gemäß den Unionsplänen eingefroren, hätten die Unternehmen mit den Kostensteigerungen nichts mehr zu tun. Und dann würden sie sich auch nicht mehr für stabile Gesundheitsausgaben stark machen. Im Gegenteil, auf Seiten der Arbeitgeber könnten sich die Interessen von Pharmaindustrie und Apotheker, Krankenhausbetreibern und Ärzten durchsetzen. Die Verhandlungsposition der GKV gegenüber den Anbietern wäre geschwächt. Die Folge: Die Kosten würden weiter in die Höhe schnellen.

Problem Nr. 2 – Zusagen aus Steuermitteln können wieder gestrichen werden. In Zeiten knapper Haushaltsmittel werden stets Ausgaben gekürzt – wie dies jüngst erst mit bereits fest zugesagten Bundesmitteln für die gesetzlichen Kassen geschehen ist. Gleich bei Amtsantritt hat die große Koalition das Geld, mit dem die Kassen versicherungsfremde Leistungen wie den Mutterschutz finanzieren sollten, einfach wieder einkassiert. Schließlich war die Haushaltskonsolidierung wichtiger.

Die Steuermittel, die für das Fondsmodell gebraucht würden, wären enorm. Denn mit den neuen Steuereinnahmen soll die bislang beitragsfreie Gesundheitsversorgung der Kinder in der GKV finanziert werden. Rund 14 Milliarden Euro jährlich würde allein diese Maßnahme kosten.

Wenn die Kopfpauschalen wachsen, wird die Regierung an einem sozialen Ausgleich nicht vorbeikommen – der ebenfalls über Steuermittel in Milliardenhöhe finanziert werden muss. Kann oder will die Bundesregierung diese Mittel nicht mehr aufbringen, bleibt letztlich nur eine Lösung: Leistungskürzungen für die gesetzlich Versicherten. Und damit würden sich Gegensätze in der bereits existierenden Zweiklassenmedizin weiter verschärfen.

Bei den Arbeitgebern könnten sich die Interessen von Pharmaindustrie und Ärzten durchsetzen

Problem Nr. 3 – die gesetzlichen Kassen werden geschwächt. Wird die Gesundheitsversorgung der Kinder über Steuermittel finanziert, birgt das eine große Gefahr für die GKV. Das Geld müsste nämlich für alle Kinder fließen, egal ob sie derzeit beitragsfrei in der gesetzlichen oder beitragspflichtig in einer privaten Kasse versichert sind.

Damit verlöre die GKV einen wichtigen Wettbewerbsvorteil, den sie derzeit gegenüber der privaten Konkurrenz hat. Denn durch die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder kann die GKV für gut verdienende Familien durchaus attraktiv und kostengünstig sein. Ist das nicht mehr der Fall, wird die GKV in noch größeren Stil als bisher attraktive Mitglieder an die Privatversicherer verlieren.

Unionsfraktionschef Kauder hat zudem für den Wegfall der so genannten Versicherungspflichtgrenze plädiert; bislang können sich nur diejenigen privat versichern, deren Einkommen über dieser Grenze liegt. Nach Kauders Plänen wäre damit Schluss: Alle Versicherten könnten zwischen GKV und PKV frei wählen. Ist das der Fall, werden sich noch mehr junge und gesunde – also für die Kassen billige – Versicherte für die PKV entscheiden. In den gesetzlichen Kassen blieben die Alten und Kranken zurück. Die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Kassen würde sinken, die Solidarität zwischen Reichen und Armen, Gesunden und Kranken weiter geschwächt.

Wer das nicht will, muss sich der Einführung einer Kopfpauschale und dem Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags widersetzen. Andere Maßnahmen aber, die im Fondsmodell vorgesehen sind, sind durchaus sinnvoll, wenn sie richtig flankiert werden. So führt an der Steuerfinanzierung zumindest eines Teils der Gesundheitskosten kein Weg vorbei. Dafür braucht es einer zweckgebundenen Steuer, zum Beispiel in Form eines „Gesundheitssoli“, die alle Bürger nach ihrem gesamten Einkommen belastet. Setzt man das Geld für die Krankenversicherung der Kinder ein, wofür ebenfalls vieles spricht, müsste eine Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze die Abwanderung in die PKV beschränken. Dann könnte endlich mehr Geld in die gesetzlichen Kassen fließen. Und das ist notwendig. SABINE AM ORDE