meine werte (1)
: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

Wi-Wa-Werte, locker eingestreut: Geht es dabei immer nur um Kinder, Kirche, Karriere – oder auch um etwas anderes? Beginn einer kleinen Reihe

Der Kapitalismus ist, wie man weiß, imstande, jeden Wert umzuwerten, sich über alles, was dem Menschen lieb und teuer ist, mit Genuss, Geschick und notfalls schwerem Geschütz hinwegzusetzen. Seine Fähigkeit, Ungleichheit zu produzieren, hat enorme Ausmaße erreicht. Wir leben in einem immer schärfer werdenden globalen Wirtschaftskrieg. Jeder gegen jeden ist die Devise. Dass gerade in diesem „geschichtlichen Moment“ Konservative als Träger des Systems aufstehen und über Werte wie Opferbereitschaft reden wollen, ist wie ein schlechter Witz.

Die Rechten vermissen ein gewisses Ethos & Pathos. Dazu fällt ihnen nichts anderes ein als Nation, Familie, Kirche. Mit Trennendem wie Religion, Geschlecht und Herkunft soll, ja, so plump ist es, die herrschende Ungerechtigkeit legitimiert werden. Frauen verschwinden vom Arbeitsmarkt, nicht nur, um die Kinder aufopfernd zu erziehen, sondern sie erst einmal überhaupt zu gebären. Christlichsein ist nicht nur gut, sondern besser. Ethnisch Deutsche, vermehrt euch, um das Feld nicht den Mischlingen zu überlassen. Und hinter dieser Friede-Freude-Heimatkulisse sollen Kriege und Verteilungskämpfe weitergehen, weil sie der „Natur des Menschen“ entsprechen.

Das Rad der Geschichte lässt sich aber nicht mehr zurückdrehen. Der Kapitalismus schafft, wie Zygmunt Bauman sagt, „liquide Gesellschaften“, alles fließt, nichts Festes, an dem man sich orientieren kann. Die Menschen glauben nicht mehr an leere Worte und sehen alle Könige nackt. Vor allem die jungen Menschen sind heute viel klüger, wissender und unabhängiger, als dass sie für ihr Leben, Denken und Handeln altbackene Empfehlungen bräuchten. Ein alternatives globales Ethos ist im Entstehen, und das fehlende Pathos wird statt auf dem Schlachtfeld am Bildschirm gefühlt, wenn Menschen aus tausenden Kilometern Entfernung miteinander kommunizieren und für dieselbe Sache kämpfen können.

Immer mehr Erdenbürger verlangen immer lauter ihre Rechte; die Skeptischen wollen weiterhin zweifeln, die Freien keiner Autorität gehorchen; die Frauen wissen immer genauer, was ihnen gut tut und was nicht. Und die Rassen vermischen sich unausweichlich. Die Kirchen werden immer leerer und nicht alle, aber manche Köpfe immer voller. Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit als immerwährende universelle Werte, und Gerechtigkeit auf Erden – hier steckt genug Ethos und Pathos drin. Es gibt ein universelles „Wir“, das dieselben Werte teilt. Diese sind auch in Zukunft nicht mit, sondern nur gegen die Konservativen zu erkämpfen. DILEK ZAPTCIOGLU

Zusammen mit Jürgen Gottschlich schrieb die Autorin das Buch „Das Kreuz mit den Werten. Über deutsche und türkische Leitkulturen“ (Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2005)