Willkommen im Schnüffelstaat

BERLIN taz ■ Das heute im Kabinett genehmigte „Optimierungsgesetz“ stößt auch bei der SPD auf heftige Kritik. Die geplanten verschärften Kontrollen von Hartz-IV-Empfängern seien total unverhältnismäßig, sagt Ottmar Schreiner, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD. „Missbrauch gibt es überall. Aber im Vergleich zu den Steuerhinterziehungen wird hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, so Schreiner, einer der ärgsten Kritiker der von Rot-Grün geschaffenen Hartz-Gesetze. Auch der letzte Winkel werde künftig durchleuchtet. „Wir sind auf dem Weg in den Schnüffelstaat.“

Laut Opposition wird das Gesetz seinem Namen nicht gerecht. „Die Bezeichnung ‚Optimierung‘ ist eine Beschönigung“, sagt Markus Kurth, sozialpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Das Gesetz solle nicht die Förderung und Vermittlung der Arbeitslosen optimieren, sondern „läppische“ Einsparungen bringen, so Kurth, dessen Partei an den Hartz-Gesetzen beteiligt war.

Dabei werde die Debatte um den Missbrauch von Hartz IV benutzt, um die Sanktionen zu verschärfen und möglichst viele Arbeitslose von Leistungen auszuschließen, sagt Frank Jäger, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Arbeitsloseninitiativen. „Die Betroffenen haben immer weniger Möglichkeiten, sich zu wehren“, klagt Jäger.

Bereits vor dem Erstantrag bietet die Arbeitsagentur Arbeitslosen künftig eine Maßnahme an. „Bei einem Modell in Köln wurden damit 30 Prozent der Erstantragsteller abgeschreckt“, so Harald Thomé von der Arbeitsloseninitiative Tacheles.

Kritik erntete auch die geplante Beweislastumkehr bei Bedarfsgemeinschaften. „Damit setzt sich die Bundesregierung über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinweg“, sagt Martin Behrsing vom Erwerbslosen Forum Deutschland. Das Gericht habe eine Bedarfsgemeinschaft bereits vor Jahren klar definiert. Künftig müssten die Betroffenen selbst beweisen, dass sie in keiner eheähnlichen Gemeinschaft lebten, und notfalls klagen.

Die Grünen befürchten dadurch eine stärkere soziale Isolation der Hartz-Empfänger. „Niemand wird mit ihnen zusammenziehen wollen“, fürchtet Kurth. Viele Wohngemeinschaften würden sich zwangsläufig auflösen und die Arbeitslosen müssten eine eigene Wohnung suchen, die in der Regel teurer sei.

„Leistungsberechtigte stehen unter Generalverdacht“, klagt Thomé von Tacheles. Etwa dürfe ein Außendienst künftig Hausbesuche bei ALG-II-Empfängern machen. „Bürgerrechte, inklusive Datenschutz, gelten zunehmend nur noch für die Schönen und Reichen“, sagt auch Petra Pau, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion.

An die von der Bundesregierung erwartete 1,2 Milliarden-Euro-Einsparung glauben die Kritiker nicht. „Es wird überschätzt, was da zu holen ist“, so Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Angeblich solle der Hartz-IV-Betrug jährlich eine Milliarde Euro an Steuergeldern kosten, so Behrsing vom Erwerbslosen Forum. „Dafür wurden aber nie Beweise vorgelegt.“

Die Grünen sehen weiteren Verbesserungsbedarf bei Hartz IV, etwa bei den „kontraproduktiven“ 1-Euro-Jobs oder bedarfsgerechteren Regelsätzen. „Für die Betroffenen ist es schwierig, regelmäßig erhöhte Bedarfe wie Fahrtkosten oder Lehrmittel aus dem Regelsatz zu zahlen“, sagt auch Birgit Fix, Arbeitsmarkt-Referentin bei der Caritas. GSC