Rumkichern unter Freundinnen

Das ist kein Punk, das ist Selbstdemontage: The Slits, All-Girl-Band der ersten Stunde, trafen sich nach 25 Jahren zur Reunion-Show in Berlin, hängten dann das Konzert aber reichlich tief – von der Girlpower zur Rebellion in der Erinnerungsschleife

VON HARALD FRICKE

Es reicht. Nicht noch ein Revival, nicht noch mehr New Wave, No Wave, Elektro-dies, Industrial-das, womöglich Punk. Die späten Siebziger-, frühen Achtzigerjahre sind stiltechnisch besichtigt, abgegrast, historisch erschlossen, aus und vorbei. Dankeschön an alle, die mitgemacht haben, von Suicide bis Gang of Four – und jetzt bitte zurück in die Gruft.

Aber nein, noch touren sie. Im Februar waren Bauhaus dran, ab Juli wollen die New York Dolls für Reunion-Konzerte nach Europa kommen; und zwischendurch gab’s nun The Slits in Berlin. Wobei der Abend im Festsaal Kreuzberg doch recht informell ablief: Drei NachwuchskrachmacherInnen sägten zur Einstimmung auf Gitarren und Moog-Synthesizern, ein bisschen Sonic Youth, ein bisschen brumm, brumm. Später wurde vom mitgereisten Tontechniker alter Sixties-Reggae durch Hallgeräte geschubst, danach war endlich Platz für „the return of the giant Slits“, wie 1981 das letzte auf Platte veröffentlichte Lebenszeichen der ersten All-Girl-Band des Punk hieß.

Anders als viele Gruppen aus dieser Zeit haben The Slits nie eine feste Fangemeinde aufgebaut, die den Kult über die Pause von 25 Jahren am Laufen hätte halten können. Ihre Musik war zu flatterhaft, wechselte leichthändig von Polit-, Feminismus- und Do-it-yourself-Attitüde zu babylonischem Roots-Reggae und experimentellem Dub. Sie haben 1977 im Vorprogramm der Clash gespielt und sind 1980 mit dem Free-Jazz-Trompeter Don Cherry unterwegs gewesen – ein Spagat, über den weder ihre Plattenfirma Island noch die Punk-Anhängerschaft amüsiert war.

Als die Band sich 1981 auflöste, verstreuten sich die Frauen entsprechend in alle Richtungen. Die Bassistin Tessa Pollitt zog sich zum Malen ins Atelier zurück, die Gitarristin Viv Albertine arbeitete fürs Fernsehen, Palmolive wechselte vom Schlagzeug in die Kirche. Nur Ari Up blieb weiter als Krawallschachtel aktiv, zog nach Jamaika, wurde Rastafarierin, zog dann vor ein paar Jahren nach New York, wurde Dancehall-Queen.

In ihrer ernergiebällchenhaften Überdrehtheit erinnert die Sängerin, deren deutschstämmige Mutter Nora mit Sex Pistole John Lydon verheiratet ist, heute sehr an Nina Hagen. Das gilt im Guten wie im Schlechten: Mal ist Ari Up auf der Bühne das vergnügt zickende Riotgirl, mal wirkt sie wie eine Mutter, die den Haufen namens Slits zusammenhält.

Vor allem nimmt sie den Auftritt nicht allzu ernst. Eine Reunion nach 25 Jahren? Ist auch nicht mehr als eineinhalb Stunden Rumgekicher unter Freundinnen. Wo sich so viele Bands staatstragend als ehemalige Klassensprecher der Punkrevolte inszeniert haben, wollen die Slits in Berlin bloß eine gute Zeit. Deshalb wird Kreuzberg gegrüßt, Ostberlin auch, weil es, wie Ari losplappert, den Menschen in der Ex-DDR ja ähnlich gehen würde wie den Jamaikanern – wäre Jamaika keine Insel, hätte man dort auch eine Mauer drum gezogen. Die Pointe versteht keiner, aber was soll’s, dann gibt es eben wieder ein paar Takte lang ungelenk vor sich hin rumpelnde Reggae-Party.

Das ist nicht Punk, das ist Selbstdemontage. Einen Moment lang freut man sich, wie cool sich The Slits den Erwartungen und Glorifizierungen widersetzen – weg vom Leistungsprinzip à la Madonna, hin zur lockeren Verschwesterung mit dem Publikum, das mitjohlen und sich bei Indianergebrüll vor der Bühne austoben kann. Aber dann denkt man auch sehr schnell an abgetakelte Glamrockbands wie Suzi Quatro oder The Rubettes, die alle paar Jahre mit ihren Sunshine-Oldies touren. Dann erzeugt die musikalische Plattform, auf der The Slits so etwas wie Girlpower für eine Nacht abfeiern, eine furchtbar beliebige Leere: Rebellion in der Erinnerungsschleife. Damals wird nie besser gewesen sein.