meine werte (4)
: Mit Buddha und Achternbusch

Diese Wertedebatten haben etwas Unernstes, Oberflächliches, Aufgeblasenes. Wenn ein Freund einen ganz im Ernst fragen würde, was für Werte man hätte, käme das einem vor, als hätte der Freund plötzlich angefangen, einen zu siezen. Man geht ja davon aus, dass man die Basics – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Respekt vor dem Nächsten zum Beispiel – miteinander teilt, sonst wäre man ja nicht befreundet. Das sind alles Selbstverständlichkeiten, und schon allein das Wort „Wert“ klingt viel zu schwer und verlogen, so als ob man sich erst mal eine Weile hinsetzte und nachdächte und nach dem Abwägen diverser Fürs und Widers zu Ergebnissen käme, über die man dann diskutierte, sittsam und ordentlich wie die Männer in den Dialogen Platons.

So ist es aber nicht. Die „Werte“, die in einem drin sind, sind historisch gewachsen, sind das Produkt von Jahrhunderten; sie – und auch der Protest dagegen – sind einem in den Leib geschrieben worden, wie Nietzsche sagte, oder sie sind das Ergebnis von Klassenkämpfen im marxistischen Sinne. Die Basics kommen größtenteils aus der Bibel und stehen in der Verfassung, und das, was darüber hinausgeht, die abweichende Meinung, ist auch von der Verfassung gedeckt.

Mich macht die Überzeugtheit, mit der Leute meinen, ihre eigenen Lebensmaximen müssten auch für jeden anderen gelten, immer etwas wütend. Die Menschen sind unterschiedlich, nicht ein jeder kann oder sollte über seinen Schatten springen. Man ist ja auch das Produkt recht unterschiedlicher Verhältnisse und Geschichten. Was für den einen gut ist, ist es für den anderen nicht. Werte und Maximen, die zu Kriegszeiten sinnvoll waren, behindern etwa in Friedenszeiten. Und als freier, allein lebender Autor kann ich anders leben als ein Familienvater. Das ist alles sehr einfach, und das, was man jenseits der Basics für wichtig hält, ist formaler Natur.

Vor mehr als zehn Jahren besuchte ich Herbert Achternbusch. Wir sprachen über den Buddhismus. Er erwähnte die „281 Regeln“, die es zu Lebzeiten des Buddha gegeben habe, und erzählte von einem jungen Mann, der zum Buddha gesagt habe: „Chef, ich geh jetzt. Das ist mir alles zu blöd. Deine Verbots- und Gebotssammlung hat doch mit dem Geist nichts zu tun.“ Daraufhin habe der Buddha geantwortet: „Dann merk dir wenigstens drei Gebote: Du sollst merken, was du denkst, du sollst merken, was du sagst, und du sollst merken, was du tust.“ – „Nicht ‚du sollst das und das tun‘, sondern ‚du machst was, und du sollst wenigstens merken, was du machst‘ “, erklärte Herbert Achternbusch. Also: „Wenn du in die Scheiße trittst, sollst du wenigstens merken, dass du in die Scheiße trittst. Und wenn du ’ne gute Tat machst, dann machst du eben eine gute Tat, aber du brauchst dir darauf nichts einzubilden.“

DETLEF KUHLBRODT