Ende des Größenwahns

Der TSV 1860 München steht vor den Trümmern einer verkorksten Saison. Zwar wurde der Klassenerhalt in der 2. Liga geschafft, doch der Verein ist finanziell kaum noch handlungsfähig

AUS MÜNCHEN FILIPPO CATALDO

Zehn Minuten vor dem Anpfiff durften die Löwen noch einmal kurz durchatmen. Während die Spieler auf dem Rasen der Münchner Arena reichlich nervös dreinblickten, betraten unter dem Jubel der 60.000 Anhänger 14 Männer mit weißen Schöpfen das Stadion. Ausgerechnet während der größten sportlichen und finanziellen Krise der letzten 20 Jahre jährte sich zum vierzigsten Mal der Gewinn der einzigen Deutschen Meisterschaft für den TSV 1860 München. Für einen Moment war alles wieder ein bisschen so wie früher, als die Könige von München noch lange nicht Beckenbauer, Maier, Müller oder Kahn, Scholl, Ballack, sondern eben Radenkovic, Brunnenmeier, Grosser hießen. Seinerzeit konnte sich in der Stadt kaum einer vorstellen, dass die Roten jemals die Blauen überflügeln würden.

Vorbei! Mittlerweile haben die erfolgsverwöhnten Roten den blauen Traditionsclub sogar vor dem Untergang bewahrt. Vor 13 Tagen übernahm der FC Bayern München für den Preis von 11 Millionen Euro die Anteile des TSV an der bis dahin gemeinsam betriebenen Stadiongesellschaft. Nicht viel Geld für eine Arena, die rund 300 Millionen Euro wert ist, aber überlebensnotwendig für einen Verein, der vor zwei Jahren schon bilanziell überschuldet, vor einem Jahr im Grunde schon insolvent war und bei dem ohne die jetzige Hilfe des FC Bayern in spätestens dieser Woche wohl die Lichter ausgegangen wären.

Dass die jetzt wohl anbleiben dürfen, ist vor allem das Verdienst von Stefan Ziffzer. Erst seit einigen Wochen ist er Finanzvorstand der Sechziger und er ist „der Erste, der endlich mit der Wahrheit herausgerückt ist“, wie der Bayern-Vorsitzende Karl-Heinz Rummenigge erklärte. Ziffzer war das wirkliche Ausmaß der finanziellen Misere bei Amtsantritt vollkommen unklar. Schließlich hatte ein Sponsor dem Verein erst vor zwei Jahren 2,5 Millionen Euro überwiesen und vor noch nicht einmal einem Jahr zahlte die Vermarktungsagentur IMG den Löwen 6,5 Millionen. Viel Geld für einen Zweitligisten. Zumal auch die Fans ihrem Verein die Treue hielten. Das Stadion war für einen Zweitligisten immer fast unverschämt gut gefüllt. 42.000 kamen im Schnitt.

Dennoch drücken den Verein rund sieben Millionen Euro Schulden und in der kommenden Saison werden noch einmal mindestens drei Millionen dazu kommen. Sicherlich muss sich auch der Aufsichtsrat, dem unter anderem Oberbürgermeister Christian Ude angehört, Naivität vorwerfen lassen. Naivität, weil man das oft größenwahnsinnig anmutende Geschäftsgebaren des Wildmoser-Clans nicht richtig eingeschätzt hat.

Expräsident Karl-Heinz Wildmoser Senior und sein Sohn wollten die Löwen bis vor zwei Jahren zu einer Art Bayern-Light machen. Unzählige fußballerisch limitierte Spieler wurden unter ihrer Führung teuer verpflichtet, auch der prekäre Stadiondeal fällt unter ihre Verantwortung. Die Auswirkungen der Ära Wildmoser machen sich, wo der Senior sich längst schmollend aufs Altenteil begeben hat und der Filius wegen der Schmiergeldaffäre während des Stadionbaus immer noch einsitzt, nicht nur in der Bilanz schmerzhaft bemerkbar. Am Sonntag stand mit Jiay Shao mangels Alternativen ein Spieler auf dem Platz, der sinnbildlich für die Philosophie des einstigen Oberlöwen steht. Der Chinese wurde im Winter 2003 geholt und als Beckham Chinas vorgestellt. Diesen Beweis blieb der schüchterne Chinese auf dem Platz weitgehend schuldig. Dennoch zahlt der Verein immer noch für seine Verpflichtung. Die 1,3 Millionen Euro Ablöse sollten in Raten gezahlt werden. Bislang ist angeblich nur eine einzige in Höhe von 100.000 Euro nach Peking überwiesen worden. Den Rest muss der klamme TSV noch nachzahlen.

Immerhin spielten Shao und seine Mitspieler am Sonntag gegen Saarbrücken recht ordentlich. Die Löwen gewannen durch ein Tor von Patrick Milchraum mit 1:0. Sportlich sind die mit Aufstiegsambitionen in die Saison gestarteten Löwen immerhin dem Abstieg entronnen. Ob sie auch eine Lizenz bekommen, entscheidet sich in den nächsten Wochen. Eine Million Euro müsse er bis zum 31. Mai noch auftreiben, erklärte Ziffzer am Sonntag. Er hält es für möglich.